Interview Irina Roerig „Kaliningrader Quest“
Interview Irina Roerig „Kaliningrader Quest“
20. Dezember 2018, von Anna Luisa Winkelmann
Irina Roerig wuchs in einem Künstlerelternhaus in München auf, wo sie auch zur klassischen Tänzerin ausgebildet wurde. Nach dem Abitur arbeitete sie als Tänzerin im Zeitgenössischen Tanz. Ein prägender Aufenthalt in Lemberg/Lwiv (Ukraine) in den Jahren 1992/93 sollte dann die zukünftige Richtung ihrer Arbeit bestimmen. 1993 zog sie nach Berlin, wo sie mit ihren ersten choreographischen Studien begann. Ab 1998 realisierte sie abendfüllende Tanztheater als Choreographin, Autorin und Szenenbildnerin. Die Ost-West-Thematik spielt in fast allen ihrer Arbeiten eine Rolle. Seit 2001 macht sie Filme. Sie lebt mit ihren zwei Kindern in Berlin. Im Herbst 2018 präsentierte die Regisseurin die Preview ihres neuen Films „Kaliningrader Quest“ im Theater im Delphi in Berlin.
1. Frau Roerig, was hat Sie motiviert den Film „Kaliningrader Quest“ zu drehen?
Durch die jetzigen medialen Möglichkeiten werden immer größere Räume in der Virtuellen Realität (VR) erschaffen. Das eröffnet einerseits phantastische neue Möglichkeiten, andererseits bringt es uns in Gefahr: Unsere eigenen inneren Bildwelten, unsere Träume, unsere Vorstellungen, die ja auch eine virtuelle Realität darstellen, werden – ohne dass wir es merken – verallgemeinert. Die Frage, ob unsere Gedanken wirklich noch frei sind, hat mich umgetrieben. Der Philosoph Immanuel Kant, der fast sein ganzes Leben an einem Ort gelebt hat, in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad, hat sich mit der Frage beschäftigt, ab wann der Mensch frei ist. Und es war eine Entdeckung, in Kaliningrad Menschen wie den Professor der Kant-Universität Wladimir Gilmanov, den Schriftsteller Alexander Popadin, den Architekten Arthur Sarnitz und viele andere zu treffen, die sich alle auf verschiedene Art mit dieser Frage befassen. – Als würde das Denken darüber in Kaliningrad, auf dem Untergrund der unsichtbaren Stadt Königsberg, in der Luft liegen… Das war die Spur und auch für mich persönlich eine Art Quest, – wie im Mittelalter, die Gralsuche genannt wurde.
2. Wie greifen Sie die deutsch-russischen Beziehungen in Ihrem Film auf?
Die Diskussion über Deutschland und Russland, zwischen West und Ost im Allgemeinen ist in vielen Fällen vergiftet. Und leider hilft der neu aufflammende Nationalismus auf beiden Seiten überhaupt nicht weiter. Dass ausgerechnet Parzival, der wegen Wagner irgendwie auch mit Nationalismus assoziiert wird, helfen könnte, sich von den Gespenstern der Vergangenheit zu befreien, ist vielleicht eine Überraschung: Die eigentliche Geschichte kommt aus dem frühen Mittelalter, aus einer Zeit, in der unsere Länder noch gar nicht im heutigen Sinn existierten. …Vielleicht war es damals auch gar nicht so einfach sich zu orientieren…. Parzivals Gralsuche ist eine individuelle Suche, in der er sich auf nichts verlassen kann als auf sein Gewissen. Kein System, keine Ideologie gibt ihm Halt. Das hat Ähnlichkeit mit unserer Gegenwart. …Ich glaube, dass die „normalen“ Menschen damit beginnen müssen, dass wir uns wieder gegenseitig nach dem jeweiligen Wohlbefinden fragen – wie es den Anderen geht. Jeder Mensch trägt die Verantwortung für unsere Welt. Wir dürfen sie nicht den Politikern überlassen. Dann können wir auch wieder eine gemeinsame Sprache finden zwischen den Ländern. Darum geht es im Mythos von Parzival, darum geht es bei Kant, darum geht es in „KALININGRADER QUEST“.
3. Hat sich die Geschichte des Films während des Drehs entwickelt oder stand das Drehbuch als Sie angefangen haben zu filmen?
Am Anfang des Films gab es eine Idee – ein Expose aber noch kein Drehbuch. Das hat sich erst während der Dreharbeiten entwickelt. Ganz am Anfang habe ich mit dem Germanistikprofessor Wladimir Gilmanov und mit Arthur Sarnitz dem Architekten gedreht. Dann erfuhr ich, daß Alexander Popadin gerade ein Buch über Kant in Kaliningrad schreibt. Und dass der Vater unseres Tonmanns Sergej, Alexander Korobeinnikov, zehn Jahre am Haus der Räte, dem Dom Sowjetov, gebaut hatte. Die Schauspieler Sergey Borisov, Ljubov Orlova, Anton Zakharov, Maxim Pazerin, Anton Kontuschev und ihre Kollegen habe ich am Kaliningrader Drama-Theater kennengelernt. Das Drehbuch hat sich dann während der Dreharbeiten über zwei Jahre hinweg um die Gespräche mit den Protagonisten herum entwickelt.
4. Sie verbinden dokumentarische Stilmittel mit Spielfilmelementen. Warum diese besondere Mischung?
Inzwischen gibt es sehr viele Mischformen im Film weil sich die dokumentarischen Ebenen und die fiktiven Ebenen auch immer schlechter trennen lassen. Wir leben alle mit verschiedenen Filmen oder Computerspielen im Kopf und die Wirklichkeit wird ja von den virtuellen Bildern in unserem Inneren in gewisser Weise zusammen gehalten. Gerade in Kaliningrad liegt es da auf der Hand, dass man der Wirklichkeit nur näher kommt, wenn man durch alle Ebenen, durch alle Realitäten kreuzt.
5. Welche Verbindung haben Sie zu Russland, Kant und der Stadt Kaliningrad?
Als der „Eiserne Vorhang“ fiel, wurde ich gerade erwachsen und war als „Westkind“ begeistert von den Menschen, die für mich von „hinter dem Vorhang“ kamen. Ehrlich gesagt, habe ich schon damals nicht verstanden, wieso wir im Westen immer behauptet haben dass wir die „Lehrer“ sein wollen welche wissen, wo es lang geht. Jedenfalls nicht auf allen Ebenen des Lebens. Dass die große Offenheit und Neugier, die ich in Russland und der Ukraine kennenlernen durfte, inzwischen einer Ernüchterung gewichen ist, macht mich sehr traurig, – obwohl ich diese Ernüchterung gut nachvollziehen kann. Kaliningrad lernte ich erst 2014 kennen und dachte sofort: Hier ist der Ort, wo wir neu anfangen könnten! Das ist ein Punkt, an dem Russland und Deutschland sich wie nackt gegenüber stehen. Jeder kann den anderen an der empfindlichsten Stelle treffen. Und genau hier gibt es diese wunderbaren Menschen, die größer denken als gewohnt… Für Verständigung ist es nie zu spät, auch wenn es manchmal so aussehen mag.
6. Was meinen Sie, hätte der Westen Russland geben müssen?
Ich glaube die Distanz ist aus langer Sicht vom Westen verursacht, weil wir die Hoffnung der Russinnen und Russen nicht erfüllt und auch nicht beantwortet haben. Anstatt ihnen unser Herz zu geben, haben wir nur unsere Produkte rüber geschickt.
7. Sie haben den Film Low-Budget gedreht. Mit welchen Herausforderungen wurden Sie konfrontiert?
Das Projekt wurde von zwei Förderungen abgelehnt. Ich habe dann nur Dank einer privaten Spende anfangen können zu drehen. Aber natürlich war das ungefähr ein Zehntel des Budgets, das ich eigentlich gebraucht hätte. Das war wirklich nicht einfach und natürlich beutet man sich bis zum Letzten aus. Die Begeisterung und die Professionalität aller Beteiligten für die Idee des Films hat den Film dennoch so weit getragen, dass ein Kollege nach der Preview im Delphi sagte:“Du hast Bilder, als hätte das Projekt Millionen gekostet.“ Die Mittel sind jetzt aber total erschöpft. Um den Film richtig vollenden zu können, haben wir gerade eine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext gestartet.
8. Die Premiere des Films fand im November 2018 in Berlin im Theater im Delphi statt. Wie waren Ihre Eindrücke von diesem Abend?
Ich war sehr positiv überrascht von dem großen Interesse der Zuschauer. Gleichzeitig sind mir als Filmschaffende natürlich noch einige Punkte an der Umsetzung aufgefallen, die ich noch verändern werde. Insgesamt war es ein sehr wichtiger Abend, bei dem ich viel wertvolle Resonanz sammeln durfte.
9. Wie geht es nun weiter? Was ist Ihr Ausblick?
Zurzeit bin ich damit beschäftigt, die Crowdfunding-Kampagne (unterstützt werden kann das Projekt hier) zu machen. Um den Film richtig zu vollenden brauchen wir nämlich noch Unterstützung. Die Unterstützer können sich auf der Seite schnell über das Projekt informieren und Dankeschöns auswählen. Ich freue mich über jede noch so kleine Unterstützung, damit ich den Film richtig fertig stellen kann. Ich hoffe einen Verleih zu finden, damit Viele den Film dann sehen können.
Lesen Sie hier einen Artikel über den Film „Kaliningrader Quest“ und die Preview