Quarantäne in Kaliningrad
Quarantäne in Kaliningrad
von Anna Luisa Winkelmann
Wie lebt es sich eigentlich in Quarantäne in Russland? Das fragen sich derzeit meine Familie und viele meiner Freunde. Wahrscheinlich so, wie in vielen anderen Ländern auch, in denen das Virus unseren Alttag bestimmt und wir im Lockdown leben.
Als ich vor gut sechs Wochen meine Reise nach Kaliningrad antrat, war ein dreiwöchiger Aufenthalt geplant, um dort das russische Sprachzertifikat TOEFL (TRKI) zu erwerben. Am 6. März fuhr ich von Danzig über die Grenze nach Kaliningrad. Zu der gewöhnlichen Passkontrolle wurde von allen Einreisenden die Temperatur mit Hilfe einer Wärmekamera gemessen. Zudem wurden wir gefragt in welchen Ländern wir uns vor der Einreise aufgehalten haben. Spanien, Italien, Deutschland- alles Länder, die eine Woche später von der russischen Regierung als besonders gefährdete Regionen eingestuft und auf die rote Liste gesetzt wurden. Wir konnten noch problemlos einreisen und zu diesem Zeitpunkt rechnete noch niemand damit, welches Ausmaß diese Pandemie nehmen würde.
In der ersten Woche nach meiner Ankunft war es besonders interessant zu sehen, wie die Kaliningrader durch das Stadtzentrum flanierten, als gäbe es den Virus nur außerhalb Russlands. Dies wurde anfangs in den russischen Medien auch so dargestellt, als sei es das Problem vom Rest der Welt, insbesondere ein europäisches.
Mit der Zeit wurden, wie allen bekannt, die europäischen Grenzen geschlossen, Großveranstaltungen abgesagt und es wurde bereits empfohlen einen bestimmten Abstand zu Menschen in der Öffentlichkeit zu halten.
Am 11. März gab Russland bekannt, Flüge nach Deutschland, Spanien und Frankreich einzuschränken. Als in Deutschland und Europa Cafés, Restaurants und Geschäfte geschlossen wurden und insbesondere verschärfte Maßnahmen in den stärker betroffenen Ländern eingeführt wurden, schloss daraufhin am 14. März die Universität in Kaliningrad bis auf Weiteres. Seitdem finden die Vorlesungen und Seminare online statt.
Würde ich also, wie geplant, Ende März meine Prüfung ablegen können? Und würde ich vor allem wieder ausreisen können? Ich war natürlich im engen Kontakt mit meiner Russischlehrerin hier vor Ort. Sie war der Meinung, dass die Maßnahmen eher noch weiter verschärft werden würden. Die Zeit verging und allmählich wurde klar, dass so ein Virus natürlich nicht vor den Staatsgrenzen Russlands haltmacht.
Während ich aus der Heimat informiert wurde und Nachrichten las, beschloss auch ich weniger das Haus zu verlassen, obwohl dies von Seiten der russischen Regierung erst zwei Wochen später verordnet wurde. Ich legte mir einen Vorrat mit Lebensmitteln an, bereitete mich weiter auf die Prüfung vor und wartete ab. Am 17. März wurde die polnisch- russische Grenze geschlossen. Und drei Tage später wurden internationale Flüge aus Kaliningrad gestrichen.
Natürlich kommen Fragen auf, denn die Situation ist ein wenig paradox. Das alltägliche Leben geht hier noch seinen normalen Gang, parallel wird aber in den Medien von einem Krankenhaus berichtet, welches nach dem chinesischen Vorbild, binnen weniger Wochen in einem Vorort Moskaus für Corona-Patienten gebaut wird.
Immerhin gibt es noch keine Engpässe in den Supermärkten. Obwohl die Grenzen geschlossen sind, ist der Import von Waren wohl gewährleistet. Beim Einkauf von einem Mindestwert von umgerechnet ca. 20€ wurden Gutscheine für eine Taxifahrt von der Kassiererin ausgehändigt, um weniger die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen (von der Stadt wurde bereits der Buslinien-Verkehr reduziert). Auf einer dieser Taxi-Fahrten war ich erstaunt über die Vorsorge des Fahrers, der sich bei mir erkundigte, ob mich der Geruch von Desinfektionsmitteln nicht störe. Das war wohl einer der Ersten, mit denen ich hier in Kaliningrad gesprochen habe, der sich Sorgen um die Situation macht. Er hat erzählt, dass er nach jeder Fahrt alles desinfizieren würde, weil er ja die Gesundheit seiner Kunden und natürlich sich selbst nicht gefährden wolle.
Das Gute an Lernphasen ist, dass man sich sowieso nicht so viel vor die Tür bewegt oder sich ununterbrochen mit Freunden trifft. Und es kommt einem ein bisschen so vor als wären alle diese Nachrichten, die Bilder und das Wissen über den Virus nur ein schlechter Traum und man selbst sitzt auf einer abgelegenen Insel auf der das Leben ganz normal weiter geht. Spätestens bei der ersten Ansprache des russischen Präsidenten am 25. März an die Nation, wird der Virus dann auch in Russland immer mehr zur Realität. Vom 30. März bis 05. April wird eine arbeitsfreie Woche für ganz Russland verordnet- für die Arbeitnehmer also quasi bezahlter Urlaub; „Bleibt zu Hause und ruht euch aus“, so die Worte des Präsidenten. Gleichzeitig wird das Referendum, welches am 22. April stattfinden sollte, verschoben. Dies war geplant, um die von Putin kürzlich durchgeführten Verfassungsänderungen demokratisch zu legitimieren. Zu dem Zeitpunkt sind offiziell 658 Menschen an dem Virus erkrankt. Der größte Teil davon in Moskau. Auch der deutsche Botschafter wendet sich in einem Brief an die Deutschen, die zur Zeit in Russland leben. Es wird empfohlen auszureisen, solange dies noch möglich ist und sich andernfalls an die vorgegebenen Maßnahmen der russischen Regierung und der deutschen Behörden in Russland zu halten.
Bevor ich mich entscheiden konnte vorsichtshalber auszureisen, wurde bekannt gegeben, dass bis auf Weiteres internationale Flüge aus Moskau gestrichen werden. Nachdem die arbeitsfreie Woche schon nach wenigen Tagen auf einen Monat verlängert wurde, hat der Präsident verschiedene Hilfsprogramme für Wirtschaft und Bevölkerung verkündet. Dennoch ist klar, dass schon jetzt viele Menschen in Russland Arbeit und Einkommen verloren haben. Die Stimmung unter den Menschen verändert sich langsam aber merklich. Die Taxifahrer tragen mittlerweile Maske und Handschuhe. Zudem sieht man vermehrt Polizisten, die Spaziergänger und Autofahrer kontrollieren. Zum Thema Masken: Ich habe versucht in sechs Apotheken eine Maske zu kaufen, ohne Erfolg. Eine Apothekerin erzählte, dass sie schon zwei Wochen zuvor Masken bestellt hätte, die Lieferung aber immer noch auf sich warten ließe. Masken werden hier mittlerweile wie Gold gehandelt. Auf einer Internetseite finde ich ein Angebot- pro Stück für ca. 1000 Rubel, das sind nach aktuellem Kurs 12€. Letztendlich habe ich Stoffmasken auf dem Markt gefunden. Der Supermarkt ist menschenleer. Vereinzelt trifft man auf Kunden, teilweise mit Mundschutz. Sie sind bemüht den Mindestabstand, der auch in Russland empfohlen wurde, einzuhalten. Auch hier sind Markierungen auf dem Boden befestigt, die einen Abstand von 1,5 Metern angeben und die Kassiererinnen arbeiten mit Mundschutz und Handschuhen, während sind durch eine Plexiglas-Scheibe vor der Kasse geschützt sind.
In den nächsten Tagen wird klar, auch hier verschlechtert sich die Situation. Waren es vor ein paar Tagen noch grade mal 600 Menschen, die an dem Virus erkrankten, sind es offiziell nach heutigem Stand (14.04.) bereits knapp 24500 landesweit. Wie auch überall sonst wird in den Medien fast ausschließlich vom Virus, sowie individueller Geschichten von Alltagshelden berichtet. Einige Sender zeigen Werbespots mit Kindern und auch berühmten Persönlichkeiten, die dazu aufrufen zu Hause zu bleiben umso im Kampf gegen das Virus zu helfen. In vielen Städten Russlands haben sich junge Freiwillige zusammengetan und gehen für die älteren Menschen, denen empfohlen wird nicht das Haus zu verlassen, einkaufen und viele Freiwillige nähen Masken um sie zu verteilen. Moskau ist am härtesten getroffen und für die Bewohner gibt es seit Anfang dieser Woche einen digitalen Passierschein. Des Weiteren arbeiten bereits sieben Forschungszentren Russlands an einem Impfstoff gegen das Virus.
Es ist immer noch nicht klar, wann die Universität ihre Tore wieder öffnet, beziehungsweise die Grenzen wieder offen sind. Also habe ich Ostern hier verbracht und meine Traditionen im Kleinen zelebriert. Ich versuche das Beste aus der Situation zu machen. Wie so viele andere auch, habe ich den Ostergottesdienst unserer Gemeinde online verfolgt.
In diesem Sinne, bleibt gesund und natürlich zu Hause!