Russlands Wege im Kampf gegen Müll
Russlands Wege im Kampf gegen Müll
14. Mai 2019, von Alexandra Majorov
In vielen Städten Russlands herrscht dicke Luft. Das Problem sind die landesweit überfüllten offiziellen sowie die zahlreichen illegalen Mülldeponien. Hinzu kommt der Mangel an Müllsortieranlagen, laut »Germany Trade and Invest (GTAI)« nur 60 Stück im größten Land der Erde.
Die Mülldeponien der Zwölfmillionen-Metropole Moskau platzen aus allen Nähten, sodass die Hauptstadt ihren Abfall auch in den Deponien der benachbarten kleineren Städte ablädt. Dieser »Mülltourismus« stinkt den ansässigen Bewohnern buchstäblich bis zum Himmel. In Wolokolamsk und Kolomna gingen sie daher auf die Straße und demonstrierten.
Das Problem der überfüllten Anlagen ist das Ergebnis jahrelanger Verdrängung durch die Politik: Keine Mülltrennung und nur wenig Recyclingmöglichkeiten. Jährlich fallen nach einer Zielmarktanalyse der »Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK)« von 2017 im ganzen Land bis zu 70 Millionen Tonnen Abfall an. Nun fürchten die belasteten Städte nicht nur eine hohe Konzentration an Schwefelwasserstoffen in der Luft, sondern auch eine Verschmutzung des Grundwassers.
Die eigentliche Schwierigkeit ist der Umgang mit dem Müll. Solange keine Möglichkeiten zur umweltschützenden Entsorgung geboten werden, fällt es schwer, den Müll umweltgerecht zu beseitigen. Dem 2018 erschienenen Artikel »Branche kompakt: Investitionsschub in Russlands Abfallwirtschaft« der GTAI zufolge landen 90% des Abfalls ungetrennt auf einer der 22.000 offiziellen Mülldeponien, die oft nicht den ökologischen Standards entsprechen. Oder der Abfall wird auf einer der 60.000 illegalen Müllkippen verschüttet. Nach Angaben der föderalen Umweltaufsichtsbehörde »Rosprirodnadzor« werden landesweit nur vier Prozent der Abfälle recycelt und noch weniger in Müllverbrennungsanlagen entsorgt.
Die Regierung hat das Problem erkannt: 2017 wurde in Russland das Jahr der Umwelt ausgerufen.
Bereits drei Jahre zuvor wurde eine umfangreiche Müllreform beschlossen, die bis 2030 den Umgang mit Müll verbessern und die Recyclingmöglichkeit fördern soll. Ihre Umsetzung gestaltet sich hingegen als schwierig. In den vergangenen Jahren scheiterte sie daran, dass die russischen Regionen territoriale Konzepte zur Abfallentsorgung einreichen sollten, was laut AHK 50 von 83 Regionen nicht fristgerecht gelang. Der Start der Abfallreform wurde auf Januar 2019 verschoben.
Doch auch zu Beginn des Jahres konnte die Reform nicht gänzlich starten. Alle russischen Regionen sollten bis zum 1. Januar ein Unternehmen als regionalen Betreiber ausgewählt haben, das das regionale Müllmanagement organisiert. Laut GTAI scheiterten 60 Regionen an dieser Aufgabe. In diesen Regionen wird die Frist nun erneut um ein Jahr verschoben. Auch in den Megametropolen Moskau und Sankt Petersburg wurde die Realisierung der Vorgaben erst auf das Jahr 2022 gelegt.
Die neue Reform macht Recycling zur Pflicht – zumindest für Unternehmen. GTAI berichtet: Für 54 Warengruppen wurden Recyclingquoten eingeführt, die sich jedes Jahr schrittweise erhöhen. Kommen die Firmen ihrer Pflicht nicht nach, müssen sie eine Umweltabgabe entrichten.
Den Angaben von GTAI zufolge wird die Reform den Staat teuer zu stehen kommen. Insgesamt 40 Milliarden Euro kostet es landesweit, neue Müllverbrennungsanlagen zu errichteten. Für die Schließung von umweltschädlichen Deponien erhalten zwölf russische Regionen insgesamt 35 Millionen Euro. Finanzielle Hilfe soll dabei vom föderalen Programm »Sauberes Land« kommen, das für den Aufbau eines geordneten Abfallwirtschaftssystems Fördergelder an die russischen Regionen vergibt.
Doch Planung ist nicht gleich Realität. Gerade die Bewohner Russlands sehen die Müllreform skeptisch. Dem Deutschlandfunk gegenüber äußert Iwan Blokow, Mitarbeiter bei Greenpeace Russland, seine Zweifel. Er fragt sich, ob die für die Müllreform vorgesehenen Vorhaben bis zum Ende hin umgesetzt werden können. Dennoch fügt er mit Optimismus hinzu, dass allein die Existenz eines Umweltjahres 2017 eine positive Wendung des lange ignorierten Problems zeige.
Den bestehenden Willen in der Bevölkerung zur Mülltrennung macht die Eigeninitiative vieler Bürger deutlich. In Internetforen werden Lösungen diskutiert, über soziale Netzwerke werden Aufräumtage organisiert und nach Sammelstellen zum Recyceln gesucht. 800 km von Moskau entfernt wurde in einem Dorf in der Wolgarepublik Tschuwaschien das Problem besonders kreativ angegangen, wie »Die Zeit« berichtete: Um das Wegwerfen von Abfall in Waldgebiete zu vermeiden, wurden alle gekauften Produkte mit dem Namen des Käufers beschriftet. Wenn eine signierte weggeworfene Zigarettenschachtel gefunden wurde, konnte der Umweltschädiger ausfindig gemacht werden. Diese Idee war so erfolgreich, dass sich die Kennzeichnungspflicht auf die Nachbardörfer ausbreitete und zur Müllreduzierung in elf weiteren Orten beitrug.
Benutzte Quellen
AHK – Abfallwirtschaft in der Russischen Föderation, Zielmarktanalyse, entnommen am 21.03.2019.
BVSE – In Russlands Abfallwirtschaft bricht ein neues Zeitalter an, entnommen am 02.04.2019.
Deutschlandfunk – Naturschutz in Russland. Jede Menge Vorhaben für das neue Umweltjahr, entnommen am 01.04.2019.
DIE ZEIT – Russland – Russische Müllsignierer – Johannes Voswinkel, entnommen am 19.03.2019.
GTAI – Branche kompakt: Investitionsschub in Russlands Abfallwirtschaft, entnommen am 19.03.2019.