RUSSLANDS WEITEN – DIE REPUBLIK BASCHKORTOSTAN 2
RUSSLANDS WEITEN – DIE REPUBLIK BASCHKORTOSTAN 2
Wir starten eine neue Serie für euch: In unregelmäßigen Abständen stellen wir euch eine Region Russlands vor. Der größte Staat der Welt ist um einiges vielseitiger, als es Europäern oft bewusst ist. Russland besteht aus mehreren halbautonomen Regierungen, umschließt Millionenstädte und menschenleere Wildnis. Zwischen dem westlichsten Punkt Russlands Baltijsk in Kaliningrad und dem östlichsten Wiljutschinsk in der Kamtschatka liegen 7.468 Kilometer Luftlinie und zehn Zeitzonen. Auf der Fläche dazwischen leben unterschiedliche Völker mit verschiedenen Sprachen, Religionen und Kulturen. Um ein Bewusstsein für den Vielvölkerstaat Russland zu schaffen, porträtiert Kulturportal euch das jeweilige Land oder Volk mit interessanten Fakten, ausdrucksstarken Bildern und weiterführenden Links. Den Anfang macht Baschkortostan.
29 September 2017, von Viktoria Gonschorek
TEIL 2: Natur und Kultur von Baschkortostan
Die Bedeutung von Heimat und Natur wird in der Nationalhymne des baschkirischen Minderheitenvolkes deutlich – gleichzeitig wird an dieser Stelle auch die Verbundenheit mit Russland betont (С Россией мы едины – Mit Russland sind wir eins).
Da es sich um ein ehemals halbnomadisch lebendes Volk handelt, ist die Liebe zum Pferd immer noch sehr groß. Früher schützten die baschkirischen Reiter Russlands südliche Grenze. Jeder lernt auch heute sehr früh reiten und auf dem Dorf haben die meisten Pferde. Sie dienen hier auch immer noch zur Bewirtschaftung der Felder. Das Pferd ist neben Arbeitstier und Fortbewegungsmittel auch Fleisch- und Milchlieferant. Pferde laufen in Baschkortostan ebenso frei wie die Kühe, keine Zäune begrenzen sie. Die Tiere kommen von alleine wieder oder die Menschen wissen, wo sie ihre Tiere suchen müssen.
Außerdem könnte Honig-Kennern Baschkirischer Honig ein Begriff sein, der zu den teuersten der Erde gehört (200 Euro pro Kilo in Moskau) und dem besondere Heilkräfte nachgesagt werden. Der Mensch mischt sich kaum in das Leben der wildlebenden baschkirischen Waldbienen ein. In einem extra für die Bienen geschaffenen Naturschutzgebiet in der Burzyansky-Region schaffen die baschkirischen Honigbauern nur passende Unterschlüpfe in den Bäumen. Im Wald haben die Bienen ein viel reichhaltigeres Angebot, sodass der Honig besonders gesunde Inhaltsstoffe enthält.
Wenn man von der Natur Baschkortostans spricht, lässt sich eine besondere Bergformation nicht ignorieren. Der berühmteste, Toratau, ist einer von drei, aber ehemals vier einzeln stehenden Bergen. Auf Baschkirisch werden sie Schichane genannt, sie sind wahrscheinlich 300 Millionen Jahre alt und aus den Überresten von Korallenriffen entstanden. Deshalb ist der Berg Toratau seit 1965 geologisches Naturdenkmal. In der baschkirischen Sagenwelt existiert eine andere Geschichte von der Entstehung der Berge: Eine schöne Baschkirin floh vor ihrem Verfolger und bat den Ural, sie zu retten. Dieser verwandelte sie in einen Fluss, die Belaya, und schützte sie dadurch vor ihrem Verfolger. Der war wütend und versuchte den Flusslauf zu stoppen, indem er sein steinernes Herz hineinwarf – das wurden die vier Berge. Lange galt der Toratau als heiliger Ort, denn bei den Baschkiren mischen sich Islam und Naturreligion.
Weniger angenehme Erinnerungen wecken die Überreste von Baracken am Toratau. Hier bestand ein Gulag zu Zeiten des stalinistischen Terrors. Außerdem begann wegen des hohen Kalk-Aufkommens an den Bergen in den 1950er Jahren die industrielle Bearbeitung des Berges Schachtau. Heute ist vom ehemals größten der vier Berge nichts mehr übrig – nur ein riesiges Loch. Trotz der Naturverbundenheit der Baschkiren hat die Profitgier der Konzerne gesiegt. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens die übrigen drei Berge verschont bleiben.
Zumindest negative Schäden von Tourismus muss die Region nicht fürchten, dieser Bereich ist in Baschkortostan eher klein. Das Problem hierbei ist die mangelnde Infrastruktur. Wer in Baschkortostan Urlaub macht, ist Abenteurer. Derjenige will paddeln, durch die Wildnis wandern und die schöne Natur genießen, dafür muss er aber selbstständig sein. Auf Touristen ist das Land außerhalb von Ufa und Paddeltour-Anbietern trotz hohen Potentials nicht eingestellt.
Allerdings hat Baschkortostan nicht nur für Natur-Liebhaber viel zu bieten, sondern lockt auch mit einer reichen Kultur, so gibt es zum Beispiel sehr viele verschiedene Theater. Zur Tradition der Baschkiren und Tataren gehört außerdem Habantuj (Sabantuj auf tatarisch). Jede Region feiert seit vielen Jahrhunderten ein eigenes Habantuj, mittlerweile meist im Juni. Seitdem die Baschkiren nicht mehr nomadisch leben, wurde es mit einer Bitte an die Natur verbunden, die Ernte groß werden zu lassen. Es gibt verschiedene Wettkämpfe, am wichtigsten sind das Pferderennen und Ringen. Gleichzeitig findet eine Art Markt statt. Am ehesten vergleichbar ist es wohl mit unserem Erntedankfest nur mit der Funktion einer Ernte-Bitte. Bei diesem Ereignis wird natürlich auch Musik gespielt und dies zum Beispiel auf der Kurai. Die Kurai ist ein traditionelles baschkirisches Musikinstrument, das vom Klang der Panflöte ähnelt. Es wird aus der gleichnamigen Schilfpflanze hergestellt und findet sich heute auf der baschkirischen Nationalflagge.
Als berühmter Sohn des Landes gilt im literarischen Bereich Mustai Karim (1919-2005). Er war Schriftsteller, Poet und Drehbuchautor, der viele Auszeichnungen und Preise erhalten hat – unter anderem den Lenin-Preis und den Staatspreis der UdSSR. Sein Grab befindet sich in Ufa.
Noch bedeutender ist allerdings ein anderer Mann, der sowohl Feder als auch Schwert führte. Die Rede ist vom Nationalheld der Baschkiren, der Freiheitskämpfer und Poet Salawat Julaew. 1754 wurde er als Sohn eines berühmten baschkirischen Heerführers geboren. Im Pugatschow-Aufstand von 1773-1775 (auch Russischer Bauernkrieg genannt) kämpfte er für Baschkiriens Unabhängigkeit. Ende 1775 wurde er gefangen genommen und verbrachte die letzten 25 Jahre seines Lebens in einer estnischen Festung. Dort schrieb Julaew viele Gedichte, die bis heute von baschkirischen Schulkindern gelernt werden. Über dem Fluss Belaya erinnert ein riesiges Reiterstandbild an ihn, er ist im Wappen von Baschkortostan verewigt und die heute drittgrößte Stadt des Landes ist nach ihm benannt – Salawat.
Hier geht es zu Teil 1 und Teil 3 unseres Baschkortostan-Berichts.
Linksammlung und weiterführendes Material:
-Einen Ausschnitt aus der Arte Dokumentation «Russlands Pferde» könnt ihr hier sehen. Der Film verdeutlicht die Liebe der Baschkiren zu ihren Pferden.
–Hier wird das Leben in einem kleinen Dorf in Baschkortostan gezeigt. In Irgisly wohnen knapp 1.000 Menschen – traditionell und beschaulich.
-Das baschkirische Volksepos Ural-Batir findet ihr auf Englisch übersetzt hier. Es wurde über Generationen nur mündlich übertragen und erst 1910 verschriftlicht. Das Epos enthält Elemente, die an die biblische Geschichte von Kain und Abel erinnern und an das Nibelungenlied. Einen kleinen Trickfilm in russischer Sprache gibt es hier.
–Auf dieser Seite findet ihr baschkirische (und tatarische) Gedichte mit russischer Übersetzung.
-Berichte ehemaliger Austausch-Teilnehmer aus Halle über Kultur, Natur u.v.m. kann man auf der Online-Zeitung der Freunde Baschkortostans e.V. lesen: Baschkirien heute.
Unser Dank geht an den Verein «Freunde Baschkortostans e.V.», der mit seiner hilfsbereiten Auskunft und Materialbereitstellung die Basis für diesen Beitrag geschaffen hat – insbesondere Rezeda Muchtarullina und Nils Winkhoff. Außerdem herzlichen Dank an Gulnaz Makieva, eine baschkirische Fotografin, die mit ihren wunderschönen Fotografien der traditionellen Bekleidung und Vermählung der Baschkiren den Artikel sehr bereichert hat (siehe Bildergalerie).