Aktivist Pjotr Pawlenski im Interview
Aktivist Pjotr Pawlenski im Interview
Nach seiner Aktion »Bedrohung«, bei der er die Tür des russischen Geheimdienstes FSB in Moskau anzündete, hatten russische Verleger Angst Werke des Aktionskünstlers Pjotr Pawlenski zu publizieren. Doch ein dreiteiliges Buch lag bereits bei Pjotr fertig auf dem Tisch. Kulturportal Russland hat ihn zum Interview getroffen.
27.Oktober 2016, von Anastasia Kondratieva
Pawlenski ist bekannt für seine provokativen Aktionen: 2012 nähte er sich die Lippen zu – eine Metapher für mundtot gemachte Künstler wie die Mädchenpunkband Pussy Riot. Später wickelte er sich nackt in Stacheldraht und 2013 nagelte er seinen Hodensack auf den Roten Platz um das Gefangensein der Menschen im Regime zu demonstrieren. Obwohl der Künstler sich bewusst in der gesetzlichen Grauzone bewegt, wurden bereits mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet.
Das in Russland unveröffentlichte Buch erweckte das Interesse des deutschen Wissenschaftsforschers Wladimir Velminski, der es an die Verläge Merve und Matthes & Seitz sandte. Heraus kamen drei Bände: »Gefängnis des Alltäglichen«, »Aktionen« und »Der bürokratische Krampf und die neue Ökonomie politischer Kunst«. Darin spricht der Künstler über sein Manifest, die Verhöre und Ermittlungen sowie persönlichen Gedanken zu den Umständen in Russland.
Kulturportal Russland hat Pjotr Pawlenski bei einer Buchpräsentation im Oktober 2016 im Merve Verlag Berlin getroffen:
Sie gelten in Russland als Regimekritiker und Provokateur. Was denken sie, wie unterscheidet sich die Wahrnehmung ihrer Person in Russland und Deutschland?
Die Propaganda in Russland hetzt die Menschen gegen mich auf. Weil ich ihrer Ideologie etwas entgegen stelle. Ich entblöße den bürokratischen Apparat mit meiner Kunst, vereinnahme ihn und bringe ihn dazu auf meine Aktionen zu reagieren. Im Westen greift die Propaganda-Maschinerie weniger. Hier kennt man aber vielleicht nicht immer den kompletten Kontext.
Sie kommen immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz. Bis vor kurzem saßen sie wegen »Bedrohung« in Untersuchungshaft. Was ist der Grund dafür, dass sie im Gegensatz zu anderen Künstlern wie Pussy Riot, nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurden?
Ich würde sagen meine Unvorhersehbarkeit. Ich führe die Machthabenden in eine Sackgasse, konfrontiere sie mit unbekannten Situationen, die nicht im Handbuch stehen. Darauf müssen sie reagieren, meine Aktionen unterbinden und gleichzeitig nach außen hin human erscheinen.
Kritisieren Sie den Rechtsstaat generell oder nur den russischen?
Ich kritisiere Macht, die Menschen zu Objekten macht um sich selbst zu stabilisieren. Zugleich diese Menschen, die nichts hinterfragen. In Russland gibt es keinen Rechtsstaat, nur ein Demokratie-Spektakel: Was nicht der Ideologie entspricht, wird zum Verbrechen erklärt. Die politische Kunst prangert diese Umstände an.
Künstlerische Proteste haben zugenommen. Sehen Sie denn eine Entwicklung der Demonstrationskultur in Russland?
2012 gab es die Hoffnung auf Entwicklung. Versammlungen und Demonstrationen damals schienen etwas zu bewirken. Mittlerweile ist die Situation düster – die Leute wissen nicht mehr wofür sie auf die Straßen gehen. Auch der Sinn von Versammlungen um etwas zu erreichen ist verloren gegangen. Leider sind die Instrumente der Macht sehr gut darin die Masse einzuschüchtern und Demonstrationen zu zerschlagen.
Sie lassen sich offenbar nicht so leicht einschüchtern. Haben Sie überhaupt vor etwas Angst?
Ja, vor all den Sachen, vor denen jeder Angst hat. Ich setze nur Prioritäten. Viele Ängste sind von der Justiz und Medizin fabriziert. Aber wenn eine meiner Kunstaktionen im Gange ist, ist meine Furcht meist auch weg.
Wie ist das Verhältnis von Spaß und Ernst bei ihren Aktionen?
In erster Linie habe ich Vergnügen an ihnen, vor allem weil man die Entwicklung der Aktionen nicht abschätzen kann. Aber die Thematik ist immer ernsthaft.
Sie haben schon bei mehreren Aktionen wie »Kadaver«, »Fixierung« und »Abtrennung« blank gezogen. Welche Rolle spielt die Nacktheit in Ihrer Kunst?
Nackt oder bekleidet ist eine Frage der Aussage. Geht es um die entmündigte Gesellschaft, dann reicht der zugenähte Mund, dafür muss ich mich nicht ausziehen. Ähnlich bei der Aktion »Freiheit« – auf dem Majdan habe ich auch keine nackten Menschen gesehen. Geht es aber um das Leben im Käfig eines repressiven Staates, ist Kleidung überflüssig. Das Gesetz dringt unter die Kleider, es packt dich bei den Eiern und nimmt dir dein letztes Hemd.
Und die Ästhetik?
Ästhetik ist Sache der Dokumentatoren. Die bisher beste Dokumentation war von der FSB. Dafür habe ich keinen Finger krumm gemacht. Ich mache an sich nicht viel. Ich sitze regungslos auf eine Wand mit einem abgeschnittenen Ohrläppchen. Um mich rum bricht das Chaos aus, die Mitarbeiter der Psychiatrie und die Polizeibeamten flippen aus, schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu und veranstalten das eigentliche Spektakel. So lässt man die Macht für sich arbeiten.