Der Blaue Reiter – zur Ausstellung im Lenbachhaus
… „Der blaue Reiter“?
„Der blaue Reiter“ war eine Gruppe von Künstlern, die sich vor hundert Jahren zusammen tat, um gemeinsam ihre Bilder auszustellen und eine Kunstzeitschrift herauszugeben. Der blaue Reiter – das waren zwei Ausstellungen, ein Buch und der Beginn einer ganz neuen Kunstrichtung.
Wassily Kandinsky, ein Künstler aus Russland, und Franz Marc aus München saßen vor 100 Jahren in einem kleinen Kaffee in der Nähe von München zusammen. Hier hatten sie die Idee für den blauen Reiter. Beide Maler waren Mitglieder der Neuen Künstlervereinigung München, aber sie fühlten sich dort nicht mehr wohl. Kandinsky, der sogar der Chef der Künstlervereinigung war, wurde immer häufiger wegen seiner Bilder kritisiert. Der Grund dafür war ganz einfach: Kandinsky malte immer abstrakter. Das heißt, er malte die Dinge nicht mehr genau so, wie sie in der Natur aussehen, sondern ungenauer mit schwungvollen Linien und großen Farbflächen. Sein Freund Franz Marc malte am liebsten Tiere, aber auch nicht so, wie sie in echt aussehen. Er malte Pferde auf bunten Wiesen und auf einem seiner Bilder ist sogar eine gelbe Kuh zu sehen.
Heimlich eine eigene Ausstellung vorbereitet
Kandinsky und Marc beschlossen neben dem Buch auch eine eigene Ausstellung mit ihren Bildern zu machen und die Künstlervereinigung zu ärgern. Kandinsky malte ein riesiges Bild und bot es für eine Ausstellung der Münchner Künstler an – obwohl er genau wusste, dass sie es schrecklich finden würden. Und genau wie er gedacht hatte, wurde sein Bild für die Ausstellung abgelehnt. Heimlich hatte er aber mit seinem Freund Franz Marc und anderen Künstlern eine eigene Ausstellung mit ihren Bildern vorbereitet, die im gleichen Ausstellungshaus in München und sogar zur gleichen Zeit gezeigt wurde. Damit ärgerte er seine früheren Freunde vom Kunstverein ganz schön.
Einige Besucher spuckten auf die Bilder
Diese erste Ausstellung des blauen Reiter wurde in ganz Europa berühmt und später auch in mehr als zehn anderen Städten gezeigt. Viele Menschen wollten sie sehen, aber den meisten gefiel die neue Art zu malen nicht – ja mehr noch: Viele Besucher spuckten auf die Bilder, machten die Rahmen kaputt und versuchten sogar mit Messern die Bilder zu zerschneiden. Den Künstlern des „Blauen Reiters“ machte das aber nichts aus – sie machten einfach weiter. Sie wollten, dass die Kunst sich weiterentwickelt und hatten keine Lust mehr nur die Natur abzumalen. Die Idee der abstrakten Kunst, die später auch Expressionismus genannt wurde, erklärten die Künstler in ihrem Jahrbuch „Der blaue Reiter“.
Der Erste Weltkrieg sorgte für das Ende
Dieses Jahrbuch erschien nur ein einziges Mal, denn der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 verstreute die Künstler in alle Winde. Wassily Kandinsky musste zurück in seine Heimat Russland, sein Freund Franz Marc zog in den Krieg und starb zwei Jahre später. Die Gruppe „Der blaue Reiter“ gab es also nur wenige Jahre, aber sie hat die Kunst sehr verändert. Immer mehr Maler probierten die abstrakte Kunst aus und entwickelten sie weiter.
(c) Nicole Ahles, NDR Info
Ausstellung im Lenbachhaus, München
Nach einer erregten, beinahe in Handgreiflichkeiten ausartenden Diskussion erklärten Wassily Kandinsky, Franz Marc und Gabriele Münter am 2. Dezember 1911 ihren Austritt aus der Neuen Künstlervereinigung München. Nur zwei Wochen nach dem Eklat richteten sie mit ihren Mitstreiter*innen in der Münchner Galerie Thannhauser eine Gegenausstellung ein. Sie zeigten neben eigenen Arbeiten Werke von August Macke, Robert Delaunay, Elisabeth Epstein, Albert Bloch, David und Wladimir Burljuk, Heinrich Campendonk, Arnold Schönberg und Henri Rousseau. Der Titel „Die Erste Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter“ nahm explizit Bezug auf das Vorhaben des Almanachs: Dieses programmatische Jahrbuch etablierte den Blauen Reiter als einen Künstler*innenkreis, der sich als Teil eines weltweiten, epochen- und gattungsüberschreitenden Kunstschaffens verstand.
Das Lenbachhaus besitzt die weltweit größte Sammlung zur Kunst des Blauen Reiter, einer der bedeutendsten Künstlergruppen der Klassischen Moderne. Von Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin gegründet, entwickelte der Kreis eine abstrahierende Formensprache, die unter dem verbindenden Glauben an eine „geistige“ Dimension der Kunst verschiedenen formalen Ausdrucksmöglichkeiten Raum bot. Der Ausstellungsrundgang führt von den Anfängen früher Ölstudien Kandinskys und Münters zu den Murnauer Landschaftsbildern und ikonischen farbstarken Gemälden wie „Blaues Pferd I“ und „Der Tiger“ von Franz Marc.
Die erste Ausstellung des Blauen Reiter fand im Winter 1911 in der Münchner Galerie Thannhauser statt. An ihr nahmen auch neue Künstlerfreunde wie August Macke und Heinrich Campendonk teil. Eine zweite Ausstellung im Frühjahr 1912 in der Galerie Goltz in München bezog zudem Paul Klee und Alfred Kubin mit ein. Von all diesen Künstlern ist eine Fülle von Werken in der Sammlungspräsentation des Blauen Reiter zu sehen.
Eigene Räume sind den berühmten großen Gemälden Kandinskys gewidmet sowie den Werken Paul Klees. Anlässlich der gütlichen Einigung mit den Nacherben des Gemäldes „Sumpflegende“ (1919) wurde der Raum zu Klee neu eingerichtet. Das angrenzende Kabinett präsentiert ausschließlich Werke von Alexej von Jawlensky aus verschiedenen Schaffensphasen, darunter auch die selten gezeigten Gemälde „Der Bucklige“ und „Sitzender Akt“. In weiteren Räumen werden Werke des Jugendstils und aus Kandinskys Frühwerk wie etwa „Reitendes Paar“, mit Werken von Gabriele Münter, August Macke, Franz Marc und Heinrich und Ada Campendonk kombiniert. Erstmals ist nun auch das 2017 neu erworbene, lebendige kleine „Selbstbildnis“ von August Macke zu sehen. Berühmte Ikonen der reifen Kunst von Franz Marc wie „Der Tiger“ und August Macke wie „Hutladen“ und „Türkisches Café“ sind in einem weiteren Kabinett versammelt.
Der große Oberlichtsaal zeigt eine Auswahl von Werken aus der Sammlung des Nachexpressionismus und der Neuen Sachlichkeit. Die Arbeiten von deutschen und internationalen Künstlern entstanden im Zeitraum von 1918 bis in die 1940er-Jahre und waren zum Teil schon lange nicht mehr zu sehen. Sie spiegeln exemplarisch die außergewöhnliche Bandbreite der Bildsprachen und Themen dieser Epoche.
„Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keine Grenzen und Völker, sondern die Menschheit.“ So formulierten es Kandinsky und Marc in ihrem Almanach „Der Blaue Reiter“ 1912. Dieses Credo inspirierte das Lenbachhaus zu einer neuen Präsentation, die das Schaffen der Künstler*innen des Blauen Reiter in den Zusammenhang der im Almanach veranschaulichten kunst- und kulturhistorischen Erzählung einbettet. Erstmals können in der Ausstellung die Verbindungen zwischen bayerischer und russischer Volkskunst, japanischen Holzschnitten, Kinderzeichnungen, zeitgenössischer Musik sowie den im Almanach abgebildeten Werken aus Bali, Gabun, Ozeanien, Sri Lanka, Mexiko und Ägypten konkret nachvollzogen werden. Durch den Dialog zwischen bedeutenden Leihgaben und den vertrauten Sammlungsbildern eröffnen sich neue Perspektiven auf das Selbstverständnis des Blauen Reiter.
Im Sinne des Projekts „Gruppendynamik“ ist das kollektive Arbeiten im Kreis des Blauen Reiter ein Leitgedanke der Ausstellung: Den gemeinschaftlichen Arbeitsaufenthalten in Murnau und Sindelsdorf werden einzelne Räume gewidmet, ebenso der Rekonstruktion der 1. und 2. Ausstellung in der Münchner Galerie Thannhauser und der Kunsthandlung Goltz. Neu gedacht wird auch die bisher geläufige Rezeption des Blauen Reiter, in der „Hauptfiguren“ wie Münter, Kandinsky, Marc, Macke und Klee weitere wichtige Mitglieder wie Elisabeth Epstein und Maria Franck-Marc überschattet hatten.
Nicht zuletzt thematisiert das Projekt die Auswirkungen des europäischen Kolonialismus auf das Kunstverständnis des Blauen Reiter. Gefangen in der Mentalität des Hochimperialismus vor dem Ersten Weltkrieg, gelang es auch seinen Mitgliedern nicht, eine emanzipatorische Auffassung von Kunstproduktion jenseits des europäischen Horizonts umzusetzen. Doch die Vision von einer Gleichberechtigung der Kunst aller Völker und Zeiten war wegweisend und hat nichts von ihrem Anspruch verloren.
Das Projekt wird im Rahmen des Programms „Museum Global. Sammlungen des 20. Jahrhunderts in globaler Perspektive“ von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Der neuen Sammlungspräsentation des Blauen Reiter folgt vom 19. Oktober 2021 bis 24. April 2022 eine zweite Ausstellung „Gruppendynamik – Kollektive der Moderne„, die sich internationalen Künstler*innengruppen widmet.
Kuratiert von Annegret Hoberg, Matthias Mühling, Anna Straetmans
Eine Ausstellung in Kooperation mit der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München
Das Lenbachhaus nimmt am Projekt „MuSeenLandschaft Expressionismus“ teil; zu sehen ist die Ausstellung „Gruppendynamik – Der Blaue Reiter“. Die Ausstellungsreihe „Avantgarde in Farbe. Blauer Reiter, Brücke, Expressionismus“ führt auch ins Buchheim Museum in Bernried am Starnberger See, das Schloßmuseum Murnau, das Franz Marc Museum in Kochel am See und das Museum Penzberg – Sammlung Campendonk.
Als Teil des Vermittlungsprogramms wurde im Rahmen des Projekts „Gruppendynamik“ das kritische Interventionsglossar „WORT|WECHSEL“ (Konzept: Clara Laila Abid Alsstar, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes) auf den Weg gebracht. Dieses erklärt in Kürze 31 Begriffe, setzt sie in Bezug zu Werken der Ausstellung „Gruppendynamik – Der Blaue Reiter“ und bringt dabei verschiedene Themen, zeitgenössische Debatten und ungewohnte Perspektiven ein.
(c) Lenbachhaus