Der Zauber des osteuropäischen Films an sieben Tagen in Wiesbaden
Die Eindrücklichkeit des mittel- und osteuropäischen Films findet sich in einem vielfältigen und wohl zusammengestellten Programm auf dem goEast-Filmfestival in Wiesbaden. Bereits seit 22 Jahren wird das Festival zusammen mit dem Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) organisiert. Seit 2017 hat Helen Gerritsen als fünfte Frau an der Spitze, die Festivalleitung und Künstlerische Leitung inne.
An sieben Tagen im Jahr kann man sich in Wiesbaden und weiteren Städten im Rhain-Main-Gebiet von Film zu Film bewegen, die Auswahl kann dabei vom transzendenten Protestfilm über den historischen Dokumentarfilm bis hin zum bedächtigen Sportdrama fallen. Themen, die die Filmschaffenden aus Mittel- und Osteuropa umtreiben finden sich zwischen aktuellen Tendenzen, neuen Positionen und filmhistorischer Raritäten, die auch immer mit gesellschaftspolitischen, filmästhetischer und -theoretischen Debatten kontextualisiert werden.
Neben den Filmvorführungen, die oftmals mit einer Deutschlandpremiere verbunden sind, wird das Symposium mit einem umfangreichen Rahmenprogramm mit Paneldiskussionen, Vorträgen, Filmtalks und Masterclasses veranstaltet. Unter dem Programmtitel Cinema Archipelago haben dieses Jahr die „Yugoretten“, zwei Frauen und ihr Netzwerk aus dem ehemaligen Jugoslawien, ihr multimediales Projekt vorgestellt. An sechs Tagen des Festivals haben die Frauen, die an antifaschistische Frauenfront- selbstorganisiert und multiethnisch der 30er Jahre anknüpfen, Frauen aus dem ehemaligen Jugoslawien zusammengebracht und die Möglichkeit sich untereinander zu vernetzen geboten. Die Kunst- und Kulturszene aus dem ehemaligen Jugoslawien soll dadurch sichtbar gemacht und antislawischer Rassismus, der Widerstand dagegen sowie Traumata und Transformation thematisiert werden.
Eine weitere Veranstaltung im Rahmen von Cinema Archipelago war die erstmals durchgeführte Einführung in die Welt der TikTok-Filme, die zu verschiedensten Themen popkultureller Referenzen, Migration, queere Communities, unzufriedener Bürger:innen und Einzelgänger:innen mit krassen Meinungen gezeigt für die Kurzfilm-Plattform produziert werden.
Progressive Formate, die seit einigen Jahren zum Highlight des Festivals gehören ist die Filmvorstellung von Filmen in VR-Reality und durch neueste Technik der Virtualität dem Publikum vorgestellt werden.
Um junge Filmschaffende und Nachwuchstalente aus Mittel- und Osteuropa mit gleichaltrigen deutschen Filmschaffenden zu vernetzen und die Möglichkeit zum ersten Austausch mit Branchenvertreter:innen zu geben, organisiert goEast jährlich das East-West Talent Lab. Ein breites Fortbildungsprogramm begleitet die Netzwerkarbeit der jungen Talente. In diesem Jahr war das Thema nonfiktionale und dokumentarische Formate.
Die diesjährige Hommage wurde zu Ehren der bedeutendsten georgischen Filmemacherin Lana Gogoberidze organisiert. goEast hat ihre politischen, feministischen und persönlichen Werke im Rahmen des Festivals gezeigt. Es fand außerdem ein Werkstattgespräch mit der mittlerweile 93-jährigen Filmemacherin statt. Sie bringt eindrücklich und mit einer großen Portion Kritik die Erfahrungen der sowjetisch-georgischen Gesellschaft auf die Leinwand. Der stete Einsatz für die Rechte der Frauen war ihr ein besonderes Anliegen, vor allem in der männerdominierenden Welt des Films.
Abschluss des Festivals markiert die Preisverleihung der von der Jury nominierten Auswahl aus dem Wettbewerb. Es wird der beste Film, die beste Regie, der beste Dokumentarfilm mit der goldenen Lilie ausgezeichnet. Außerdem wird der Preis der Internationalen Filmkritik sowie Preise in der Innovation und VR-Reality verliehen. Der kosovarische Thriller “Vera träumt vom Meer” von Kaltrina Krasniqi wurde dieses Jahr von der Jury zum besten Film des Wettbewerbs gekürt. Den Preis für die beste Regie bekam das ungarische Regieduo mit Anna Nemes und Lazlo Csuja für den Film “Sanft”. Für den besten Dokumentarfilm wurde die Goldene Lilie an Taras Tomenko mit dem Film “Taubes Gestein” über ein 14-jähriges Mädchen aufwachsend an der ukrainisch-russischen Grenze inmitten eines Krieges, ausgezeichnet. Der Preis der Internationalen Filmkritik wurde an den dekonstruktivistischen Krimi “Pilger” vom litauischen Regisseur Laurynas Bareisa verliehen.
Der Merck-Innovationspreis für XR ging unter acht teilnehmenden Projekten an die russische Produktion “Artic Recall” in der Regie mit Anna Tolkacheva. Das politische Familiendrama “Klondike” von Maryna Er Gorbach wurde durch den langjährigen Medienpartner des Festivals, 3Sat, für die Ausstrahlung im Fernsehen angekauft.
Ein beliebter Treffpunkt war der Ostkiosk vor dem Festival-Zentrum, dem Museum Wiesbaden. Kaffee und Erfrischungsgetränke ließen die Besucher zusammenkommen. Hauptthema: Welcher Film wurde grade vor der Zusammenkunft geschaut.
In Anbetracht des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine stand der Krieg im Fokus des diesjährigen Filmfestivals. Eine außerplanmäßige Paneldiskussion mit Filmschaffenden aus der Ukraine über den Aufruf zum Boykott russischer Filme auf Filmfestivals machte deutlich, wie wenig Kultur das gesellschaftspolitische Geschehen ausblenden kann.