Eine Pragerin in Moskau und Berlin
Eine Pragerin in Moskau und Berlin
Die Tschechin Anna Steinbachova erzählt über ihre Studentenerfahrungen in Russland und Deutschland.
29. Mai 2017, von Anna Steinbachova
Ich bin Tschechin und habe mein ganzes Leben in Prag gelebt. 2013 nach meinem Schulabschluss musste ich mich entscheiden, wie ich die Weichen meines weiteren Lebens stellen wollte. Und ehe ich mich versah, stand ich schon am Prager Flughafen mit einem riesigen Koffer auf in das größte Abenteuer meines bisherigen Lebens: Ich hatte mich nämlich entschieden in Moskau am MGIMO – dem Institut für Auslandbeziehungen – „Internationalen Journalismus“ zu studieren. Eine Tschechin in Russland? Meine Entscheidung hierfür rief bei meinen Freunden und meiner Familie natürlich ambivalente Reaktionen hervor. Viele starrten mich lange an und fragten nicht ohne einen misstrauischen Unterton: „Warum?“ Aber meine Antwort war stets eindeutig. Ich wollte die Welt, das Ausland entdecken und da ich an der Schule bereits Russisch gelernt hatte, schien mir Moskau eine gute Gelegenheit, meinen Horizont zu erweitern.
Aber aller Anfang ist natürlich schwer. Mein Russisch war zu der Zeit nicht auf dem besten Niveau und Russland ist kein Land, in dem man leicht auf Englisch als „Rettungssprache“ ausweichen kann. So fiel es mir in den ersten zehn Monaten am MGIMO nicht ganz so leicht, wie ich es mir zuvor noch romantisch in Prag ausgemalt hatte. Und auch das Leben in Moskau war eine Herausforderung. Die Stadt ist nun fünfmal größer als Prag und es leben etwa eine Million mehr Menschen dort als in meinem gesamten Heimatland. In Moskau gibt es viele interessante Orte wie auch in Prag oder anderen europäischen Großstädten, aber in Moskau ist man geradezu erschlagen von dem fülligen Angebot. Von Museen und Ausstellungen über verschiedene Kaffees bis hin zu den großen Parks, die ich besonders liebe.
Eine besonders große Umstellung war für mich das Wetter. Von Mitte Oktober bis Ende April kann man in Moskau kaum draußen sein. In diesen Monaten sieht man die Sonne nur selten und die Stadt wirkt häufig depressiv und abstoßend. Der einzige Vorteil an dem kalten und düsteren Wetter ist, dass man Zeit für das Studium hat. Denn das Studium an einer russischen Universität hat es in sich. Das bedeutet im Konkreten: man muss nicht nur fünf Tage in der Woche, wie an europäischen Universitäten, sondern sechs Tage in der Woche zum Unterricht. Und der Stundenplan ist voll – von morgens bis abends und das mit strenger Anwesenheitspflicht. Da bleibt kaum Freizeit.
Aber das intensive Studium hat auch seine Vorteile. Am MGIMO sind neben den Hauptfächern der Studierenden – von Politikwissenschaften über Wirtschaft bis hin zu Jura – die Sprachen sehr wichtig. Eines kann man dabei nicht abstreiten: wenn wer am MGIMO eine Sprache studiert, beherrscht er sie hinterher wirklich – auch ohne je im Land gewesen zu sein. Ich habe mich für Deutsch entschieden.
Neben meinem Hauptstudienfach der Journalistik besuchte ich am MGIMO parallel einen deutschen Studiengang der Freien Universität Berlin, bei dem ich auf Deutsch studieren konnte. Wir lernten u.a. genauer das deutsche politische System, das deutsche Rechtssystem und auch die deutschen Medien kennen. Nach dieser theoretischen Auseinandersetzung mit Deutschland stand für mich fest: nach Russland wollte ich mir auch Deutschland erschließen. Ich fand es spannend, als Europäerin in Russland zu studieren und mit diesem Blickwinkel nun in Europa an einer deutschen Universität zu studieren. Worin würde sich das Studium unterscheiden? Wie würde sich mein Leben verändern?
Im Wintersemester 2016/2017 war es dann soweit. Ich organisierte eigenständig meinen Aufenthalt an der Freien Universität Berlin für ein Semester. Während ich an meinen ersten Tagen in Moskau sowohl in der Stadt als auch an der Uni völlig verloren war, war in Berlin alles feinsäuberlich durchgeplant. Ganz so, wie man es von den Klischees der ordentlichen Deutschen schon kennt. Gleich am ersten Tag bekam ich eine Karte des Campus, es gab Orientierungstage für die neuen Studenten und man wusste einfach, an wen man sich mit welcher Frage wenden konnte.
Das Studium und Leben an einer deutschen Universität unterscheidet sich stark von dem an einer russischen Universität. Allein der Unterricht ist ganz anders aufgebaut. In den Seminaren gibt es viel mehr Gruppenarbeit und generell hatte ich das Gefühl, dass die Studenten selbst viel mehr den Unterricht mitgestalten müssen. Ich bin in Berlin mit Freude zum Unterricht gegangen. Ich habe mich jeden Tag aufs Neue auf die Diskussionen gefreut. Und – im Vergleich zum Uni-Leben in Moskau – konnte ich als Austauschstudentin meinen Stundenplan selbst gestalten. Das war für mich, die ein streng getaktetes 6-Wochentag-Studium gewöhnt war, zu Beginn gar nicht so einfach. Ich wählte also ein paar weniger Fächer, als in Moskau, um die Stadt näher kennenzulernen. Ich muss aber ganz ehrlich gestehen: Auch der Berliner Winter ist nicht weniger sonnig als der Moskauer. Aber das hielt mich nicht davon ab, die Stadt und vor allem das deutsche Studentenleben in vollen Zügen zu genießen.
Nach vier Monaten Berlin scheint mir, dass ich die deutsche Hauptstadt bei weitem besser kenne als Moskau nach vier Jahren. Immer wieder habe ich andere ausländische Studierende in Berlin gehört, die sich über die Größe der Stadt beschwerten und dass die Stadt ungemütlich sei. Da konnte ich nur müde lächeln und sagen: Du warst nicht in Moskau.
Jetzt bin ich zurück in Moskau und beende mein Studium am MGIMO. Danach möchte ich mich wieder zurück nach Westen begeben und mich für einen Master an der Freien Universität Berlin einschreiben. Ich würde gerne erfahren, wie es ist als echte Studentin und nicht nur als Austauschstudentin an einer deutschen Uni zu studieren.
Eins kann ich definitiv sagen: Leben und Studium in Moskau und Berlin – dazwischen liegen Welten, aber ich will keine der beiden missen. Moskau und Berlin sind zwei ganz unterschiedlichen Städte in zwei ganz unterschiedlichen Ländern. Man kann sie nicht vergleichen und das habe ich mit meinem Bericht auch gar nicht vor. Beide Städte haben ihre Besonderheiten. Ihre Schönheiten aber auch Unannehmlichkeiten. Ebenso das Studium. Ich bin sehr froh, dass ich die Erfahrung gemacht habe, beide Studiensysteme kennengelernt zu haben. Das hat meinen Horizont wahnsinnig erweitert. Ich kann gar nicht sagen, welche Stadt, welche Uni die bessere ist. Für mich war es definitiv die Mischung aus beidem. Während ich in Moskau vor allem das disziplinierte Studieren gelernt habe, so habe ich in Berlin das Leben studieren gelernt. Beides sehr wichtige Erfahrungen für meinen weiteren Weg.