Es ist schwer, ein Zuschauer zu sein.
Es ist schwer, ein Zuschauer zu sein.
Filmrezension zu «Es ist schwer, ein Gott zu sein» von Alexey German
26. Februar 2019, von Alexandra Majorov
Alexey Germans «Es ist schwer, ein Gott zu sein» brauchte 14 Jahre für seine Fertigstellung. Erst nach seinem Tod wurde der Film, nach Vollendung durch seine Frau Svetlana Karmalita und seinen Sohn Aleksei German (ebenfalls Regisseur), uraufgeführt. Nun konnten ihn auch interessierte Zuschauer im Rahmen des Projektes «Alexey German – Retroperspektive» im Russischen Haus in Berlin ansehen.
Die Handlung des Filmes basiert auf dem gleichnamigen Roman der Gebrüder Strugatzki, einem Klassiker der sowjetischen Science-Fiction-Literatur. Der Roman war eine Kritik am in der Sowjetunion verbreiteten Historischen Materialismus, zudem assoziiert die Intellektuellenverfolgung die stalinistischen Säuberungen der dreißiger Jahre.
In der Buchvorlage wird eine Gruppe Historiker auf einen Planeten mit einer mittelalterlichen Zivilisation entsandt. In der Hoffnung, die Anfänge einer Renaissance hautnah mitzuerleben, mischen sich die Forscher als vermeintliche Nachkommen lokaler Götter unter das Volk. Sie dürfen nicht auffallen und unter keinen Umständen ins Geschehen eingreifen. Doch als Verfolgungen und Ermordungen gegen Gelehrte beginnen, wird es für den Wissenschaftler Anton, der als Don Rumata in der zurückgebliebenen Welt lebt, immer schwieriger, tatenlos zuzuschauen.
Von der eigentlichen Handlung des Buches bekommt das Film-Publikum lediglich am Anfang eine Zusammenfassung durch den Erzähler mit. Sofort wird in die Zeit der Gewalt vorgespult. Die Universität wurde zerstört, die übrig gebliebenen Gelehrten fürchten um ihr Leben. Die Kamera begleitet den von der Buchvorlage abweichenden Protagonisten: Kein melancholischer Intellektueller seiner Zeit, sondern als ein seiner Umgebung komplett angepasster Don schlägt der Historiker selbst zu und demütigt seine Mitmenschen. Getötet hat er aber noch nicht, auch wenn er die Kunst des Ohren- Abschneidens seiner Aussage nach sehr gut beherrscht.
Man kann wahrscheinlich von Glück sprechen, dass die Bilder, welche man als Zuschauer knapp drei Stunden lang betrachtet, in Schwarz-Weiß präsentiert werden. 177 Minuten lang werden Nahaufnahmen von Gesichtern gezeigt – klebrige Haut, triefende Nasen, fettige Haare – durchgehend wird gespuckt, erbrochen oder anderweitig ausgeschieden. Ohne erkennbare Handlung – ohne roten Faden oder einem Plottwist – werden zusammenhangslose Dialoge geführt, kommen Gestalten ins Bild und gehen wieder. Manche starrten oder lachen in die Kamera, durchbrechen die vierte Wand. Andere stellen sich ins Bild und verdecken das eigentlich im Fokus stehende Geschehen.
Irgendwann stellt sich – zumindest bei mir – die Frage: Wurde dieser Film mit dem Ziel gedreht, herauszufinden, wie lange das Publikum sitzen bleibt? Wie viele Zuschauer bis zum Ende durchhalten? Und mit dieser Frage kommt auch die Erkenntnis: Es ist schwer, ein Zuschauer zu sein.
Und wenn es schon einem als Zuschauer schwerfällt weiter zuzugucken, nicht dem Drang nachzugeben, einfach zu gehen – wie schwer hat es dann der allsehende Gott? Er, der nach uralten Vorstellungen auf all das Leben der Menschen herabsieht. Ohne spannungssteigende Hintergrundmusik, ohne Plot oder Twist muss Gott das Dasein der Menschen betrachten, sieht alle ekligen, sinnlosen und infantilen Facetten der Menschheit, sieht die sinnlose Gewalt. Und kann im Gegensatz zum Publikum der Gattung Homo sapiens nicht einfach den Kinosaal verlassen.