Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen«
Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen«
16. Juli 2019, von Alexandra Majorov
Das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« ist ein unter der Telefonnummer 08000 116 016 rund um die Uhr erreichbares Beratungsangebot für Frauen, denen Gewalt widerfahren ist. Es bietet Erstberatung, Krisenintervention und vermittelt bei Bedarf an Unterstützungseinrichtungen vor Ort. Das Besondere am Hilfetelefon ist das Sprachenangebot unter 17 Fremdsprachen ist auch Russisch zu finden. Kann sich die anonym anrufende, Russisch sprechende Anruferin besser in ihrer Muttersprache verständigen, wird auf Wunsch eine Dolmetscherin hinzugeschaltet.
Petra Söchting leitet das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen«. Kulturportal Russland hat ein Interview mit ihr geführt.
Am 6. März 2013 war die Geburtsstunde des Hilfetelefons »Gewalt gegen Frauen«. Schon damals haben Sie die Beratung in Fremdsprachen angeboten, darunter auch Russisch. Wie kam es zu der Entscheidung?
Die Beratung von Betroffenen darf nicht an der Sprache scheitern. Dieser Grundsatz war von Anfang an sehr wichtig und ist so auch im Hilfetelefon-Gesetz verankert. Wir können daher rund um die Uhr innerhalb von 60 Sekunden eine Dolmetscherin zu den Telefongesprächen hinzuschalten. Am Anfang haben wir 15 Fremdsprachen angeboten. 2017 wurden dem Beratungsangebot mit Albanisch und Kurdisch (Kurmandschi) zwei weitere Sprachen hinzugefügt.
Meistens können sich die Anrufenden soweit verständlich machen, dass die Beraterin weiß, welche Sprache die richtige ist. Sie hat aber auch die Möglichkeit, mit dem sogenannten Sprachkarussell kurze Sätze in den verschiedenen Fremdsprachen abzuspielen, bis die Anruferin ihre Muttersprache erkennt.
Handelt es sich bei den Dolmetscherinnen um russische Migrantinnen oder sind es ausgebildete Übersetzerinnen mit nicht-muttersprachlichen Russischkenntnissen?
Wir arbeiten mit einem externen Dolmetschdienst zusammen, der nach fachlichen Qualitätsstandards ausgewählt wurde. Vereinzelt haben wir auch Beraterinnen, die selbst sehr gut Russisch sprechen. Hier ist die Hinzunahme einer Dolmetscherin nicht nötig. Ist eine russischsprachige Beraterin verfügbar, wird ein bereits angenommenes Beratungsgespräch an sie weitergeleitet.
Werden die Dolmetscherinnen genauso ausgebildet wie die Beraterinnen? Immerhin hört sich die Dolmetscherin das gleiche Leid an wie die Beraterin, nur dass erstere nicht die beratende Funktion übernimmt.
Zwischen der Dolmetscherin und der Beraterin herrscht eine klare Arbeitsteilung: Die Beraterin steuert das Gespräch, die Dolmetscherin übersetzt. Dennoch ist bei einem Gespräch zu dritt die kooperative Zusammenarbeit sehr wichtig. Die Dolmetscherinnen erhalten von uns in Vorbereitung wichtige fachliche Vokabeln und werden zu den Themen, zu denen sie dolmetschen werden, geschult.
Nach traditionellen Familienkonstellationen hat immer noch der Mann die Gewalt über die Familie; solche Vorstellungen sind in russischen Ehen im Vergleich zu deutschen Partnerschaften weiterverbreitet. Dann war auch noch die Entkriminalisierung der häuslichen Gewalt in Russland letztes Jahr ein großes Thema. Sorgen diese Umstände dafür, dass eine russische Anruferin eine andere Einstellung zu der ihr widerfahrenen Gewalt hat als eine deutsche?
Diese Frage lässt sich aus unserer Beratungstätigkeit heraus nur schwer beantworten und verallgemeinern. Studien zeigen, dass Gewalt von den einzelnen Betroffenen sehr unterschiedlich erlebt und bewertet wird. Jede Situation ist anders und auch die Folgen von Gewalt sind verschieden. Deshalb bietet das Hilfetelefon keine Patentlösungen und fertigen Antworten. Die Beraterinnen suchen individuell mit jeder Frau nach Wegen aus der Gewalt. Ausgehend von der persönlichen Lebenssituation der Betroffenen sowie ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten unterstützen, bestärken und ermutigen die Beraterinnen sie, die nächsten Schritte zu gehen, um sich aus der Gewaltsituation zu lösen.
In den letzten Monaten hat sich die Bewegung »Me Too« immer mehr in der Gesellschaft verfestigt. Hat sich das irgendwie in den Anrufen bemerkbar gemacht?
Die Debatte trägt sicher dazu bei, dass das Thema Gewalt gegen Frauen enttabuisiert wird und in die Mitte der Gesellschaft rückt. Durch die öffentliche Diskussion werden Unterstützungseinrichtungen wie das Hilfetelefon auch bei Betroffenen bekannter. Wir verzeichnen seit Beginn der Beratungsarbeit einen jährlichen Anstieg der Beratungszahlen, allerdings auch schon vor der #metoo-Debatte. Grundsätzlich ist und bleibt Gewalt gegen Frauen ein Thema, bei dem jede und jeder Einzelne hinschauen und aktiv werden muss, damit es Betroffenen leichter fällt, sich zu öffnen und sich Hilfe zu holen.
Können sich die Mitarbeiterinnen, die einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben, gegenseitig Tipps im Umgang mit Migrantinnen geben?
Die Beraterinnen beim Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« sind ausgebildete Fachkräfte mit jahrelanger Erfahrung in den Bereichen Sozialarbeit, Sozialpädagogik oder Psychotherapie. Sie erhalten zudem regelmäßig weiterbildende Schulungen, darunter auch zu interkultureller Kompetenz.
Das Hilfetelefon bietet die Möglichkeit, sich schriftlich an die Beraterinnen zu wenden. Wird das oft von Russisch sprechenden Frauen genutzt? Oder vielleicht sogar öfter als die telefonischen Anrufe?
Die Beratung in 17 Fremdsprachen ist nur telefonisch unter der 08000 116 016 möglich. Im Jahr 2018 wurde in rund 240 Fällen eine russischsprachige Dolmetscherin hinzugezogen; seit 2013 insgesamt 912-mal. Russisch war damit die dritthäufigste Fremdsprache hinter Arabisch und Farsi/Dari. Ohne Dolmetscherdienst unterstützten die Beraterinnen beim Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« in russischer Sprache seit 2015 64-mal. In den Jahren 2013 und 2014 wurden diese Zahlen noch nicht erhoben.
Wir haben jetzt die ganze Zeit über Anruferinnen gesprochen, was logisch ist, da der Anteil der Frauen, denen Gewalt widerfährt, höher ist als der der Männer. Trotzdem ist ja auch dieser vorhanden: Können Männer auch beim Hilfetelefon anrufen? Es heißt ja explizit »Gewalt gegen Frauen«.
Grundlage der Arbeit des Hilfetelefons ?»Gewalt gegen Frauen« ist das Hilfetelefon-Gesetz, das im März 2012 in Kraft getreten ist. Demnach richtet sich das Angebot in erster Linie an Frauen, die von Gewalt betroffen sind, an Personen aus dem sozialen Umfeld dieser Frauen und Fachkräfte. Männliche Betroffene werden von den Beraterinnen aber nicht abgewiesen, sondern nach Möglichkeit bedarfsgerecht beraten und weitervermittelt. Im Jahr 2018 waren jedoch etwa 96 Prozent der betroffenen Personen, die selbst Unterstützung suchten oder für die eine Beratung in Anspruch genommen wurde, Frauen.
Infobox:
Das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen«
– Beratung zu allen Formen von Gewalt auf Deutsch, Russisch und in 16 weiteren Fremdsprachen, in Deutscher Gebärdensprache und in Leichter Sprache
– Rund um die Uhr telefonisch erreichbar unter 08000 116 016
– kostenlos, anonym, vertraulich
– Online-Beratung in deutscher Sprache unter www.hilfetelefon.de
– Rat und Unterstützung für gewaltbetroffene Frauen, ihr soziales Umfeld und Fachkräfte