„Ich würde gerne jeden beim Namen nennen…“. Anna Achmatowa
„Ich würde gerne jeden beim Namen nennen…“. Anna Achmatowa
15. November 2018, von Alexandra Frank
Der 30. Oktober 2018 in St. Petersburg ist ein sonniger Dienstag, die Temperaturen bewegen sich um den Gefrierpunkt. Zwei Tage zuvor hat es zum ersten Mal geschneit. Die Wege durch den Gedenkfriedhof in Lewaschowo sind an einigen Stellen vereist. Grüppchen von Menschen bewegen sich fernab der Wege über das Gelände, zwischen meterhohen Bäumen.
In Russland wird jährlich am 30. Oktober der Opfern der stalinistischer politischer Repression gedacht. Allein hier, auf der Lewashowskaya pustoch, zu deutsch Lewashowos Ödland liegen die Überreste derer, die zwischen 1937 und 1955, zur Zeit des Großen Terrors, in den Gefängnissen der Oblast Leningrads ermordet wurden. Bis zum Jahre 1989 wurde dieser Ort durch das KGB unter Verschluss gehalten. Eine Recherchegruppe der Organisation Memorial hat ihn entdeckt, sodass das Gelände seit dem 18. Juli 1989 als Gedenkstätte fungiert.
Die Namen der einzelnen Verstorbenen, die auf dem Friedhof liegen, sind nicht bekannt. Im Laufe der Jahre haben Hinterbliebene jedoch Grabmäler für ihre Verwandten, die in der Region gelebt haben, aufgebaut. Außerdem erinnern um die 30 verschiedene, kollektive Denkmäler an die verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die unter den Repressionen gelitten haben. Auch vor dem Gelände, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, erinnert der im Jahre 1996 eröffnete Moloch des Totalitarismus an die Gräueltaten unter Stalins Führung.
Das Gedenken am 30. Oktober dieses Jahres verläuft friedlich und gemeinschaftlich. Am zentralen Platz des Geländes verlesen Geistliche die Namen derer, die in der Oblast Leningrad ums Leben kamen. An den verschiedenen Denkmälern versammeln sich Grüppchen und erzählen Geschichten der Unterdrückung. Es gibt Führungen über das gesamte Gelände. Die Atmosphäre ist bedrückend und fröhlich zugleich. Auf Bänken packen die überwiegend älteren Menschen Proviant aus – Butterbrote, Kuchen, Schnaps – lachen und erzählen sich Geschichten. Sie kommen jedes Jahr an diesen Ort und gedenken ihres Vorfahren oder setzen einfach ein Zeichen für die Aufarbeitung des Großen Terrors.