Interview mit Frank Gaudlitz
Interview mit Frank Gaudlitz
2. Mai 2018, von Kulturportal Russland Redaktion
Frank Gaudlitz hat bei Arno Fischer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Fotografie studiert. Seine Arbeiten wurden international in großen Einzelausstellungen präsentiert und vielfach mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet.
Er arbeitet analog an selbstkonzipierten Langzeitprojekten insbesondere in Russland, Osteuropa und Südamerika. Seine großen fotografischen Folgen „Die Russen gehen“ (1990-1994), „Warten auf Europa“ (2003-2005), „Casa Mare“ (2006-2008), „Cruz del Sur“ (2005-2015), „Sonnenstraße“ (2010), „A Mazo – Die Amazonen des Amazonas“ (2013-2016) und „Zwischen Zeiten“ (1988-2018), spannen einen Bogen zwischen epochalen Ereignissen und Einzelschicksalen und wurde in umfangreichen Fotobänden veröffentlicht. Frank Gaudlitz‘ Fotografien sind Plädoyers für eine Welt der Differenz und der Vielfalt. (..) Die „family of men“, das sagen die Bilder, besteht aus Individuen, die einen Namen haben, erkennbar sind und ihren Platz in der Welt einnehmen.
So gesehen sind es Bilder der Hoffnung.
Nach einem größeren zeitlichen Abstand setzte er sich in den letzten Jahren erneut mit den Veränderungen in Russland auseinander und erweiterte das vorhandene Bildkonvolut um ein aktuelles Kapitel. Mit einer letzten Reise im März/April 2018, die auch die Präsidentschaftswahlen einschließt, beendete Gaudlitz sein Gesamtprojekt.
Der inhaltliche Schwerpunkt der aktuellen Arbeit bewegt sich im Spannungsfeld von Inszenierung und Realität und wurde sowohl auf politischer als auch persönlicher Ebene fokussiert.
Herr Gaudlitz, Sie haben von 1988 bis heute immer wieder Reisen nach Russland gemacht und das Land und die Menschen portraitiert. Was war damals Ihr Anreiz in die Sowjetunion zu reisen?
Ich habe von 1987-1991 künstlerische Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Arno Fischer studiert. Im Rahmen einer Studienfahrt bin ich 1988 zum ersten Mal in die Sowjetunion gereist. Wir sind damals mit dem Zug von Moskau nach Perm gefahren. Die unendliche Weite des Landes hat mich tief beeindruckt. Auf einmal konnte ich verstehen, warum die russische Literatur diese ihr eigene Schwere hat. Die Natur dort hat eine unglaubliche Gewalt, ganz anders als bei uns im besiedelten Deutschland. Das schlägt sich auch in der in der Kultur und der Stimmung der Menschen nieder. Diese einzufangen war mein Anreiz.
Wie ging es nach Ihrer ersten Reise weiter?
In den 90er Jahren habe ich den Abzug des russischen Militärs aus Ostdeutschland fotografisch begleitet. Mit den abziehenden Soldaten bin ich wieder nach Russland gekommen und war erschüttert, was der Umbruch des politischen Systems mit der Gesellschaft gemacht hat. Das waren harte Zeiten für die Menschen. Viele haben innerhalb kürzester Zeit ihre Existenzen verloren. Ich habe gespürt: „Das ist eine Bruchstelle der Geschichte, da muss ich dran bleiben.“
Wie hat sich dieser Umbruch in Ihren Fotografien niedergeschlagen?
Man kann den Zustand der Gesellschaft an den Gesichtern der Menschen ablesen. Haben die Menschen Ende der 80er Jahre noch gelächelt, so verschwand das Lächeln in den 90er Jahren komplett aus den Gesichtern.
Nach 2001 haben Sie eine längere Pause eingelegt und sind nicht mehr nach Russland gereist. Was war der Grund hierfür?
Auch ich war gezeichnet von den 90er Jahren. Ich habe mich stets mit den Menschen und der Schwere ihrer Existenz solidarisiert. Ich habe nicht in Hotels gelebt, sondern bei Freunden, Bekannten oder in Kommunalkas und war so dem Leben der Menschen und ihren Problemen sehr nah. Nach fast 10 Jahren war ich einfach auch erschöpft von der Nähe und Schwere. Ich brauchte etwas Abstand und musste mich mit anderen Themen auseinandersetzen.
2017 sind Sie wieder mehrfach nach Russland gereist und auch dieses Jahr waren Sie dort. Ist es ein anderes Land, in das Sie zurückgekehrt sind?
Ein bisschen schon. Vor allem in den Großstädten Moskau und Sankt Petersburg spürt man eine starke Veränderung. Die Menschen sind weltoffener und selbstbewusster geworden. Sie haben die Schwere der 90er Jahren abgelegt. Das hat sicher auch etwas mit dem Generationenwechsel zu tun. Oftmals ist erst eine neue Generation fähig, das Trauma der Geschichte abzulegen und die Gegenwart neu zu gestalten.
Was verstehen Sie unter dem inhaltlichen Schwerpunkt ihrer Werke „zwischen Inszenierung und Realität“?
In Russland wird sehr viel inszeniert – auf politischer sowie auf privater Ebene. Insbesondere Symbole mit patriotischem Inhalt oder der Siegesthematik über Hitlerdeutschland sind im öffentlichen Raum häufig zu finden. Die Stilistik ähnelt dabei sehr der des Kommunismus. An den Metro-Zügen beispielsweise sind Bilder von russischen Nationalhelden wie Juri Gagarin abgebildet oder die Helden aus Kriegsfilmen. Aber auch im persönlichen Bereich ist Selbstinszenierung gefragt. Viele russische Frauen legen extrem viel Wert auf ihr Äußeres.
Im Westen ist das Russlandbild stark von Klischees wie Wodka, Banja oder Eisangeln geprägt. Welche Rolle spielen Klischees in Ihren Fotografien?
Meine Bilder orientieren sich zwar zum Teil an typischen russischen Klischees. Aber sie sind nicht Inhalt meiner Arbeit. Ich hinterfrage sie und versuche einen Abgleich mit der Realität. Das eigentlich Gelebte ist sicher differenzierter, als das Russlandbild in den Vorstellungen vieler Menschen im Westen.