„Die Kunst ist eine Sprache, die Verborgenes aufdeckt, Verschlossenes aufreißt, Innerstes fühlbar macht, die mahnt — erregt — erschüttert — beglückt.“ Das war der Kernsatz jener Rede, auf den Nikolaus Harnoncourt 1995 zum 75-Jahr-Jubiläum der Salzburger Festspiele sein Publikum einschwor. Und mit dem er mich, die neue Festspielpräsidentin, sofort entflammte.
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Die Kunst als Sprache, die alles kann, wenn sie nur will und wenn man sie lässt.
„Die Kunst als Lebensmittel“ (O-Ton Max Reinhardt) und nicht ausschließlich als Dekoration des Lebens.
„Die Festspiele als eine Angelegenheit der europäischen Kultur, von eminenter politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bedeutung“, wie Hugo von Hofmannsthal die Aufgabe Salzburgs besonders eindringlich formulierte.
Dass ich mehr als ein Vierteljahrhundert der hundertjährigen Geschichte am Gesamtkunstwerk Festspiele mitgestalten durfte, erfüllt mich mit einem unendlichen Glücksgefühl, dem ich in diesem Adieu Ausdruck verleihen möchte.
All die Prädikate, die uns von Wissenschaft, Feuilleton und Ihnen, dem herrlichen Publikum, verliehen wurden, sind Auftrag und Verantwortung zugleich.
· Festspiele als Kompass in unsicheren Zeiten.
· Festspiele als Leuchtfeuer auf der Suche nach der eigenen Identität, nach dem Sinn des Lebens.
· Und immer wieder Festspiele als europäisches Gedächtnis.
Am stimmigsten aber scheint mir die vom Kulturphilosophen Bazon Brock gewählte Definition: Festspiele als Begeisterungsgemeinschaft. Umfasst sie doch jene drei Kraftquellen, durch deren Zusammenwirken das Wunder Festspiele erst möglich wird:
· Uns, die Festspielmacher und -macherinnen; an der Spitze unser Intendant Markus Hinterhäuser, dem es alljährlich gelingt, Salzburg zu einem Epizentrum des Besonderen zu machen.
· Vor allem aber die Künstlerinnen und Künstler, die im besten Falle Ereignisse schaffen, die weit in den Alltag nachklingen, und nicht bloß Events.
In unserem Memorandum zum 100-Jahr-Jubiläum heißt es dazu: „Die Salzburger Festspiele verstehen sich als internationales Festspiel: international in ihrer Programmatik, durch die mitwirkenden Künstlerinnen und Künstler und ihre Besucherinnen und Besucher aus aller Welt.“
· Welche Kraft uns von Ihnen, dem Publikum, entgegenströmt, hat niemand schöner beschrieben als Max Reinhardt: „Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum müssen die Besten sein, wenn das vollkommene Wunder entstehen soll, dessen das Theater an glücklichen Abenden fähig ist.“
Sie, verehrte Besucherinnen und Besucher, haben ganz entscheidend dazu beigetragen, dass die Schatten der Pandemie in den so schwierigen vergangenen zwei Jahren nicht auf die Festspiele fielen. Dass wir wie 1920 und 1945 auch 2020 Leuchtturmprojekt sein konnten.
Zum Abschied als Festspielpräsidentin bitte ich Sie weiter um Ihr Interesse an der Kunst, um Ihre Neugier, ja geradezu um Ihre Leidenschaft. Ich glaube fest daran, dass die Kunst in unserer ziemlich aus den Fugen geratenen Welt Orientierung bieten kann.
Wir wollen mit unserem Programm 2022 in Oper, Theater und Konzert die richtigen Fragen stellen. Wir wollen Mut zum Tiefer- und Weiterdenken machen. Wir wollen die Fantasie für neue Lösungen wecken. Und ich darf im Publikum — an Ihrer Seite — Mitglied der Begeisterungsgemeinschaft sein.
Danke!
Helga Rabl-Stadler
Präsidentin der Salzburger Festspiele
Stand: 22. November 2021