Musik für den Frieden
Thomas Vogt hat als ehemaliger Musiklehrer die Initiative „Musik für den Frieden“ gegründet. Sein Ziel dabei: Jugendliche aus Russland und Deutschland durch Musik zusammen und Projekte gemeinsam mit ihnen auf die Bühne zu bringen.
Während seiner jahrelangen Erfahrung mit jungen Menschen stand die Friedensarbeit stets im Mittelpunkt seines Schaffens. Wie er gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Vogt dazu kam, „Musik für den Frieden“ zu gründen, dafür vor allem mit einem russischen Ensemble zusammenzuarbeiten und wie sich die aktuelle weltpolitische Lage auf seine Arbeit auswirkt, hat er kürzlich in einem Gespräch mit Kulturportal Russland berichtet.
- Wann haben Sie die Initiative „Musik für den Frieden“ gegründet?
Zusammen mit meiner Frau Ulrike Vogt (Musikerin) habe ich in den vergangenen Jahren zahlreiche große musikalische Projekte, unter anderem Musicals wie Momo oder die 3 Musketiere, am Lise-Meitner-Gymnasium nahe Freiburg (im Breisgau) auf die Beine gestellt. 2018 begannen wir mit der Initiative „Musik für den Frieden“, die als musikalischer Jugendaustausch mit unseren Partnern „Teatr Premier“ in Twer seine Anfänge nahm. Nach meinem Eintritt in den Ruhestand gründeten wir im Jahr 2021 das Ensemble MIR (Music for International Relations) und den gemeinnützigen Verein „Musik für den Frieden e.V.“.
- Warum die Zusammenarbeit mit einem russischen Ensemble?
Die deutsch-russischen Beziehungen waren schon 2018 nicht besonders gut. Stete Nachrichten darüber und die negative Berichterstattung haben mich beunruhigt. Ich wollte nicht nur wie gelähmt dasitzen, sondern einen Kontrapunkt dazu erschaffen- mit Musik und aus der Zivilgesellschaft heraus. Also haben wir uns ein Konzept überlegt und der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch über unsere Idee geschrieben. Uns wurde empfohlen, auf deren Plattform (Dina) einen Beitrag zu schreiben. Darauf meldete sich wenige Tage später unsere jetzige Partner-Organisation.
- Stehen die Musikerinnen und Musiker derzeit in Kontakt miteinander?
Wir haben regelmäßigen Kontakt mit den russischen Partnern und versuchen an den musikalischen Projekten weiterzuarbeiten. Wir sprechen oft über Zoom miteinander, die Jugendlichen sind mit ihren Freunden aus Russland über verschiedene Online-Plattformen im persönlichen Kontakt. Dabei klammern wir Themen wie Politik grundsätzlich aus und konzentrieren uns auf die Musik und die Kultur.
- Arbeiten Sie auch mit deutschen Partnern zusammen?
Zunächst haben wir in einem kleinen Kreis von sehr aktiven Menschen unsere Projekte geplant und entwickelt. Wir hatten aber von Anfang an Unterstützung von der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch und dem Rotary Club Müllheim-Badenweiler. Nach der Vereinsgründung hatten wir den Gedanken, dass es hilfreich wäre sich mit anderen Gruppen der Friedensbewegung zu vernetzten. Jetzt arbeiten wir zusammen mit dem Freiburger Friedensforum, mit Pax Christi, mit der Badischen Landeskirche und ihrer Initiative „Sicherheit neu denken“ und der Rotary Action Group for Peace German Chapter zusammen.
- Konnten Sie trotz Corona die bilaterale Zusammenarbeit aufrechterhalten? Wenn ja, wie stark waren Sie dadurch beeinträchtigt?
Wir haben unseren ersten gegenseitigen Austausch ein Jahr vor Beginn der Pandemie durchgeführt. Wir waren im Herbst 2019 zehn Tage lang in Twer und Moskau und hatten da auch gemeinsame Auftritte. Einige Wochen später hatten wir den Gegenbesuch unserer Partner mit vier Konzerten in Süddeutschland und Basel. Nachdem Corona losging, mussten wir auf Online-Formate ausweichen. Das erste Musikvideo, das wir gemeinsam produzierten, war „Heal the World“. Dieses Video wurde wurde sogar anlässlich des 75. Jahrestages des Kriegsendes auf den Kulturkanälen der Deutschen Botschaft in Moskau und des Deutsch-Russischen Forums gepostet.
Das zweite Video hatte den Titel „Wolga trifft Rhein“ und zeigt das unbeschwerte Leben der Jugendlichen an Rhein und Wolga, das sich in seinen Lebensäußerungen, Hoffnungen und Träumen gar nicht wesentlich voneinander unterscheidet.
Das jüngste Projekt ist das Musikvideo „Du bist stärker als dein Schatten“, komponiert von Andrey Korjakov. Der Musik-Kurzfilm zeigt die Schattenseiten der Menschen, wie Mobbing, Diebstahl oder Alkoholismus und den möglichen Umgang damit. Das Video haben 40 Schauspielern in Russland aufgenommen und produziert, der unterlegte Song wurde in Deutschland mit 35 jungen Musikern aufgenommen und produziert. Angesichts der angespannten Lage in der Ukraine tut es Not, auf allen Ebenen für eine gewaltfreie Lösung des Konfliktes einen Beitrag zu leisten. Alle Videos findet man auf unserem YouTube Kanal.
- Was bedeutet der Angriffskrieg Russlands für Ihre Arbeit und die Initiative „Musik für den Frieden“?
Wir sind natürlich sehr schockiert und traurig über das was da passiert. Der Krieg ist für alle Menschen, die unmittelbar davon betroffen sind und leiden, eine unfassbare Katastrophe. Wir haben als Zeichen der Solidarität Mitte Mai hier in unserem Städtchen Müllheim ein Benefizkonzert gegeben und Spenden für die ortsansässigen Hilfsorganisationen gesammelt.
„Musik für den Frieden“ hat im Januar 2022 als die Spannungen zunahmen einen Aufruf an alle Bundestagsabgeordneten, Ministerpräsidenten der Länder und verantwortliche russische Politiker geschrieben und auf change.org veröffentlicht. Darin appellieren wir zu einem konstruktiven, empathischen Dialog zurückzukehren und den Geist der Charta von Paris wieder aufleben zu lassen. Einige Politiker aus unserem Wahlkreis haben sich daraufhin bei uns gemeldet, sich für unsere Projekte interessiert und versprochen uns zu unterstützen.
Viele deutsch-russischen Austauschprogramme wurden wegen des Krieges auf Eis gelegt. Da die Projekte „Musik für den Frieden“ auf persönlicher Ebene durchgeführt werden und nicht von staatlichen Stellen tangiert sind, haben wir uns entschlossen, unsere Zusammenarbeit weiterzuführen.
Dieses Jahr werden wir mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Uns ist wichtig, dass auch unser russischer Partner Andrey Korjakov mit einigen Jugendlichen aus dem Ensemble im September bei der Preisverleihung vor Ort sein können. Bisher stehen uns da eher die pandemiebedingten Reiseeinschränkungen im Wege als Konflikt in der Ukraine.
- Wie stehen Sie zu der Forderung in der deutschen Öffentlichkeit, russische Kultur zu boykottieren?
Ich finde das ganz furchtbar. Russische Kunstschaffende mit samt der russischen Kultur derartig zu diffamieren. Es ist gefährlich jetzt alle Brücken abreißen zu wollen, stand und steht Kultur auch immer als Vermittler den Gesellschaften zur Verfügung. Da bin ich der Meinung, dass man hier einen anderen Weg einschlagen sollte.
Der große Geiger Yehudi Menuhin sagte einmal: „Musik ist die Muttersprache aller Menschen“. Musik kann jeder und jede über alle menschlichen und politischen Grenzen hinweg verstehen. Musik geht von Herz zu Herz. Das erleben die jungen Musiker so, aber auch die Zuhörer, die das wahrnehmen. Musik ist ein emotionales Erlebnis.
Der Krieg, die Gewalt findet vor allem auf der physischen Ebene statt, auch wenn Hass und entfesselte Gefühle Auslöser sind. Kriegswerkzeuge sind materieller Art: Panzer, Kriegsschiffe, Raketen. Dafür wird leider sehr, sehr viel Geld ausgegeben.
Frieden lebt und gedeiht auf der seelischen, emotionalen Ebene. Beim Musizieren lernt man aufeinander hören, entwickelt Verständnis für die Stimme des anderen; im Einschwingen auf einen gemeinsamen Rhythmus lernt man sich gegenseitig kennen; Ziel ist es, mit dem jeweils eigenen Ton mit den anderen ein harmonisches Werk zu schaffen, Teil eines größeren Ganzen zu sein; empathisch und wohlwollend zu kommunizieren. In diesem sozialen-symphonischen Körper gibt es keine Sieger und keine Verlierer. Das sind die „Friedenswerkzeuge“, die wir den jungen Menschen durch die Musik an die Hand geben wollen.
Musik kann in dieser Hinsicht Brücken bauen für Verständnis und Freundschaft auch in politisch schwierigen Zeiten.
- Glauben Sie, dass nach einem Waffenstillstand wieder eine Zusammenarbeit mit russischen Partnern möglich wird?
Es muss möglich sein. Frieden in Europa kann nicht ohne Russland und dessen Zivilgesellschaft existieren. Außerdem finde ich es ganz wichtig, den Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, sich weiterhin zu begegnen und die immer noch bestehenden oder wieder erfolgreich aufgebauten Vorurteile über die jeweiligen Kulturkreise zu widerlegen. Mir ist es ein großes Anliegen, keine Feindschaft zwischen deutschen, russischen und auch ukrainischen Jugendlichen entstehen und zulassen, dass sich diese weiter verhärten könnten. Schließlich müssen auch die nächsten Generationen einen Weg finden, friedlich miteinander zu leben.
Wir sind uns bewusst, dass der Krieg und das Zerwürfnis zwischen den westlichen Staaten und Russland einen gedeihlichen Austausch zwischen den Ländern und seinen Menschen über Jahre hinaus erschweren und behindern wird. Trotzdem hoffen wir, dass „Musik für den Frieden“ einen Keim legen kann für ein zukünftig friedliches Zusammenleben in Europa.
- Arbeiten Sie derzeit an einem neuen Projekt mit den Jugendlichen?
Im September planen wir ein Konzert gemeinsam mit dem russischen Ensemble in der Gedächtniskirche in Berlin. Wir hoffen, dass dies auch trotz der derzeitigen Situation möglich sein wird.
- Was würden Sie sich für die Zukunft dieser jungen Menschen und „Musik für den Frieden“ wünschen?
Natürlich wünsche ich mir, dass der unsägliche Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich beendet wird. Dass gute Lösungen und Wege gefunden werden, mit denen alle Beteiligten leben können. Dass die Menschen wieder zueinander finden können und sich vergeben können. Dass die vielen familiären und freundschaftlichen Bande, die es vor dem Krieg gab, wieder geknüpft werden können. Verständlicherweise schauen wir jetzt alle auf die Ukraine, wir sollten aber nicht vergessen, dass es viele Konflikte und Kriege auf der Welt gibt, die auch unsere Aufmerksamkeit und unser Mitgefühl brauchen.
Für „Musik für den Frieden“ wünsche ich mir, dass es beitragen kann, zu dem so wichtigen freundschaftlichen Verhältnis zwischen den Nachbarn Deutschland und Russland vor allem für die junge Generation und die folgenden Generationen. Dazu wäre es wunderbar, wenn „Musik für den Frieden“ wächst und viele junge Musiker und Tänzer überall diesen Impuls aufnehmen und weitertragen.
Weitere Informationen zu „Musik für den Frieden“ finden Sie hier.
Alle Videos sind auf dem Youtube-Kanal „Musik für den Frieden“ zu finden.
Das Interview führte Anna Luisa Winkelmann