Nicht empfohlen: Leningrad
Nicht empfohlen: Leningrad
27. Juni 2012, von Kulturportal Russland Redaktion
Sergej Schnurow über seine Musik, seine Band und sein Leben.
Zum Abschluss der Veranstaltungen im Palast der Republik fand am 15. Jahrestag des Mauerfalls ein Konzert mit der russischen Band Leningrad statt. Vor dem Auftritt stellte sich Sergej Schnurow, Sänger, Bassist und Kernstück der Gruppe, den Fragen der Journalisten.
Mit Schirmmütze, Gazprom-Tshirt und einer Flasche Bier in der Hand erscheint „Schnur“ zum Pressegespräch im Ibis-Hotel. Zu Gazprom unterhalte er gute Beziehungen, scherzt der Bandleader: „Sie unterstützen Zenit und ich auch.“ Was ihn bzw. die Band immer wieder nach Deutschland ziehe? Schnurow deutet vielsagend auf die Bierflasche in seiner Hand.
In der russischen Presse ist Schnurow als Dissident der Rockmusik bezeichnet worden, was er selbst nicht nachvollziehen kann. „Rock gehört ins XX. Jahrhundert, die Dissidenten in die 60er Jahre. Obwohl ich ja schon Ähnlichkeit mit Solschenizyn habe…“, lacht der bärtige Sänger. Das Witzigste aber, was er jemals in der russischen Presse über sich gelesen habe, wäre, dass er angeblich nach Moskau gezogen sei und sich dort eine Wohnung gekauft habe. Worüber er sich gefreut hätte, wenn es wahr gewesen wäre: „Die Wohnung hätte ich dann vermieten können.“ Und welche Überschrift würde er gerne über sich in einer deutschen Zeitung lesen? Schnurow überlegt. Dann grinst er: „Der Eiserne Vorhang kommt zurück.“
Die Band ist längst nicht überall so willkommen wie in Deutschland. In den baltischen Ländern („außer in Lettland, wo wir Kontakte haben“), in Australien, aber auch im eigenen Land sind Konzerte von Leningrad nicht erwünscht bzw. verboten („In Russland wird nichts verboten. In Russland gibt es dafür eine andere Formulierung: Nicht empfohlen.“). Der russischen Gemeinde im Ausland will sich Schnurow jedoch nicht anschließen, denn „trübes Wasser ist interessanter, man weiß nie, worauf man stößt“. Nach dem Konzert in Berlin geht es für Leningrad zunächst zurück nach St. Petersburg und dann zu weiteren Konzerten in die USA. Man sei wohl extra erst nach den Wahlen eingeladen worden, scherzt Schnurow: „Sonst wäre die Wahl anders ausgegangen.“ Seine Einstellung zur Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten sei im Übrigen die gleiche wie die zum Sieg Putins.
Die Musik der Band lässt sich nicht in eine Schublade stecken: Sie bewegt sich irgendwo zwischen Ska, Reggae, Rap und Rock. Schnurow umschreibt sie mit der Wirkung von Heroin: „Wer es nicht probiert hat, versteht nicht, was es ist. Und wer es probiert hat, kommt nicht mehr davon los.“ Ob dies nun tatsächlich so ist oder nicht, die Musik der Band ist in jedem Fall Garant für eine ausgelassene Stimmung im Publikum. So auch beim gut besuchten Palast-Konzert im Volkspalast. Während sich die des Russischen nicht mächtigen Zuhörer auf das „Leningrad“-Lied freuen, dass sie von irgendeiner „Saufparty“ kennen, singt der Rest des Saals lauthals die schimpfwortlastigen Texte der Combo mit. Vielleicht ist es das, was Schnurow meint, wenn er es als seine größte Errungenschaft bezeichnet, die „schöne Einfachheit“ salonfähig gemacht zu haben: Russisches Mat zum Mitsingen und Mitschunkeln.
Dass sein Leben in solchen Bahnen verlaufen würde, hätte Schnurow nicht erwartet: „Ich dachte, ich würde ruhiger leben.“ Aber es kam anders: „Das trübe Wasser begann sich zu bewegen und eine trübe Welle ergriff mich.“ Momentan sei die Musik sein Leben, doch er hoffe, bald nichts mehr zu schreiben. Kein Grund zur Beunruhigung für die Anhänger von Leningrad: „Ich denke bei jeder Platte, es sei die letzte. Aber es gibt noch sehr viel Material.“