Offener Brief: Osteuropa
In einem offenen Brief an die Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (DGO), der Verband der Osteuropahistorikerinnen und –historiker e.V. (VOH) und die Südosteuropa-Gesellschaft e.V. (SOG) ihre Besorgnis über die Ankündigung des Bundeskabinetts Ausdruck verliehen, die Mittel des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD), der Alexander von Humboldt-Stiftung sowie des Goethe-Instituts in den kommenden Jahren deutlich zu kürzen.
Die vorgesehenen Mittelkürzungen beschränken aus Sicht der Unterzeichner die Möglichkeiten des internationalen wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Austauschs massiv. Insbesondere im Angesicht der weltweiten politischen Spannungen und des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist ein solcher Austausch aber aktuell wichtiger denn je. Bedingt durch die Kürzungen könnten nicht nur weniger deutsche Studierende, Forschende und Promovierende ins Ausland gehen; auch die Programme für ausländische Wissenschaftler*innen und Studierende müssten deutlich reduziert werden. Dies betrifft auch die Programme, die geflüchtete ukrainische und von Repression bedrohte belarusische und russische Akademiker*innen unterstützen.
Die Unterzeichner forden daher, die angekündigten Kürzungen für den DAAD, die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut zurückzunehmen. Für den internationalen Austausch und Dialog auf zivilgesellschaftlicher Ebene sind Förderprogramme wie die der genannten Institutionen von unschätzbarem Wert. Sie halten eine Mittelkürzung für ein absolut falsches Signal an die internationale Gemeinschaft. Der Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands verlangt nach vielen Antworten Deutschlands und Europas. Wissenschaftlicher Austausch sollte Teil dieser Antwort sein, um das Bekenntnis Deutschlands zu einem integrierten Europa glaubhaft zu machen.
Im Wortlaut:
OFFENER BRIEF ANLÄSSLICH DER MITTELKÜRZUNGEN BEIM DAAD, DER ALEXANDER VON HUMBOLDT STIFTUNG UND DEM GOETHE-INSTITUT
Sehr geehrte Frau Ministerin Baerbock, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
als wichtige Akteur*innen und Förder*innen des wissenschaftlichen Austauschs mit dem östlichen Europa und des europäischen Dialogs haben wir die Nachricht über die vom Auswärtigen Amt vorgesehenen Budgetkürzungen für den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut mit großer Besorgnis aufgenommen. Die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung im akademischen Bereich ist insbesondere vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine von besonderer Bedeutung – auch in gesellschaftlicher Hinsicht, denn der akademische Dialog ist ein wichtiger Teil des zivilgesellschaftlichen.
Besonders in Zeiten politischer Spannungen, die aller Voraussicht nach auch in den nächsten Jahren die internationalen Beziehungen prägen werden, wächst die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Austauschs. Während eine Verständigung mit autoritär regierten Staaten wie Russland und Belarus auf offizieller Regierungsebene zunehmend schwieriger wird, können wissenschaftliche und kulturelle Kooperationen wichtige Bindungen stärken und den Fortbestand einer kritischen Zivilgesellschaft in diesen Ländern erhalten. Für die Beziehungen zu diesen Ländern ist dies vor allem in einer Langfristperspektive von großer Bedeutung. Der DAAD, die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut leisten mit ihren Förderprogrammen in diesem Zusammenhang einen unschätzbaren Beitrag und helfen, den Kontakt zu den Zivilgesellschaften autoritär regierter Länder auch in Krisenzeiten weiter aufrechtzuerhalten.
Darüber hinaus bieten die Programme der genannten Institutionen ukrainischen Wissenschaftler*innen, die vor dem russischen Angriff auf ihr Heimatland fliehen müssen, eine Perspektive, in Deutschland zu leben, zu forschen und zu arbeiten. Gleiches gilt für gefährdete Wissenschaftler*innen aus Russland und Belarus, die aufgrund ihrer kritischen Haltung Repressionen befürchten müssen. Vielfach sind auch Kulturschaffende mit einer kritischen Haltung stark gefährdet. Eine Einsparung bei den Mitteln der genannten Institutionen hätte daher ganz konkrete negative Folgen für diese Personen.
Die Auswirkungen, die die angekündigten Kürzungen hätten, werden bei einem Blick auf die Zahl der wegfallenden Programme sehr deutlich. Beim DAAD stehen circa 700 langfristige Studien- und Promotionsstipendien für Personen aus dem Ausland zur Disposition, die Alexander von Humboldt-Stiftung ist bereits dieses Jahr gezwungen, die Bewilligungszahlen der vom Auswärtigen Amt finanzierten Programme um bis zu 30 % zu senken, was nochmals über 100 Stipendien betrifft. Zudem steht die Philipp Schwartz-Initiative, die durch Krieg und Verfolgung bedrohten Forschenden eine Arbeit in Deutschland ermöglicht, vor erheblichen Einschnitten. Beim Goethe-Institut sind wichtige Programme und Angebote der Standorte im östlichen Europa betroffen, wodurch wichtige Lern- und Begegnungsräume und damit Freiräume für künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Austausch fehlen würden.
Der Wegfall von 5000 Kurzzeitförderungen für Vortrags- und Kongressreisen sowie Sommer- und Winterkurse beim DAAD hat aber auch Auswirkungen auf deutsche Studierende und Wissenschaftler*innen, die ins Ausland wollen. Auch sie sind ein wichtiger Teil des internationalen Dialogs und können durch die Teilnahme an internationalen Konferenzen, Austauschprogrammen und Forschungsaufenthalten zur Vielstimmigkeit und Multiperspektivität des wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurses beitragen. Ein Wegfall entsprechender Fördermöglichkeiten gefährdet darüber hinaus die Zukunftsfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland.
Die Möglichkeiten des internationalen Austauschs auf akademischer und zivilgesellschaftlicher Ebene werden somit durch die geplanten Budget-Kürzungen deutlich eingeschränkt. Angesichts der politischen Spannungen im östlichen Europa würde dies ein falsches Signal an ukrainische Wissenschaftler*innen senden, die vor dem russischen Angriff fliehen und auch die Beziehungen zu den Gesellschaften in Ländern wie Russland und Belarus auf lange Sicht stark beeinträchtigen. Dies würde das Projekt der europäischen Integration mittel- und langfristig massiv beschädigen.
Wir fordern Sie daher auf, die angekündigten Kürzungen für den DAAD, die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Goethe-Institut zurückzunehmen. Für den internationalen Austausch und Dialog auf zivilgesellschaftlicher Ebene sind Förderprogramme wie die der genannten Institutionen von unschätzbarem Wert. Wir halten eine Mittelkürzung für ein absolut falsches Signal an die internationale Gemeinschaft. Der Angriffs- und Vernichtungskrieg Russlands verlangt nach vielen Antworten Deutschlands und Europas. Wissenschaftlicher Austausch sollte Teil dieser Antwort sein, um das Bekenntnis Deutschlands zu einem integrierten Europa glaubhaft zu machen.
Die Unterzeichner
Ruprecht Polenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde
Prof. Dr. Martin Aust, Vorsitzender des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und Historiker
Manuel Sarrazin, Präsident der Südosteuropa Gesellschaft