Pique Dame. Oper von Pjotr I. Tschaikowsky
Pjotr I. Tschaikowsky
Libretto von Modest I. Tschaikowsky
Premiere 1. Juli 2023
In russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln
Pjotr I. Tschaikowsky zeigt in »Pique Dame« schonungslos Hermanns inneren Konflikt zwischen seiner bedingungslosen Liebe zu Lisa und seiner manischen Spielsucht, womit er hofft, Reichtum zu erlangen und gesellschaftliche Schranken zu durchbrechen. Musikalisch und dramaturgisch erinnert »Pique Dame«, uraufgeführt 1890 in St. Petersburg, dabei an die Grand opéra: Pompöse Bilder, wie der St. Petersburger Sommergarten, mit groß angelegten Chorszenen treffen auf ein psychologisches Kammerspiel der Protagonist*innen. So wie bereits Tschaikowskys erste Puschkin-Vertonung »Eugen Onegin« war auch seine vorletzte Oper »Pique Dame« nach der gleichnamigen Erzählung von Alexander Puschkin ein großer Erfolg. Tschaikowsky schrieb dazu: »Entweder befinde ich mich in einem schrecklichen Irrtum, oder »Pique Dame« ist wirklich mein Chef d’œuvre«. In der Semperoper gab es von dieser Oper bisher in den Jahren 1929 und 1947 Neuproduktionen. Für die aktuelle Inszenierung zeichnet der renommierte Film- und Opernregisseur Andreas Dresen, der das erste Mal an der Semperoper inszenieren wird, verantwortlich.
Pjotr I. Tschaikowsky – Ein Fremder in der russischen Gesellschaft
Pjotr I. Tschaikowsky wurde am 7. Mai 1840 in Wotkinsk im Ural als zweiter Sohn des Ingenieurs und Oberstleutnants Ilya Petrowitsch und dessen zweiter Ehefrau Alexandra Andrejewna geboren. Seine Mutter war die Enkelin des französischen Bildhauers Michel Victor Acier, der als königlich-sächsischer Modelliermeister bei der Porzellanmanufaktur Meißen arbeitete. Die Musik spielte bei den Tschaikowskys eine wichtige Rolle, denn die Mutter brachte den Kindern das Klavierspiel bei und sang viel. Während Tschaikowskys Mutter nur Französisch mit den Kindern sprach, brachte sein Vater die ukrainische Kultur in die Familie. Tschaikowskys Großvater Pjotr Tschaika wurde in der ukrainischen Region Poltawa geboren. Während seines Studiums an der Kiew-Mohyla-Akademie, wo er zum Regimentsarzt ausgebildet wurde, änderte er seinen Familiennamen in Tschaikowsky.
Zunächst studierte Pjotr I. Tschaikowsky neun Jahre Rechtswissenschaft in St. Petersburg, bevor er einen neuen Weg einschlug und ab 1862 bei Anton Rubinstein am neu eröffneten Konservatorium Komposition und Instrumentation studierte. Nur drei Jahre später, nach Beendigung der Studien mit dem Abschlussdiplom, siedelte er nach Moskau über.
In Moskau entstanden die ersten erfolgreichen Kompositionen, darunter die 1. Symphonie (1866) und die Ouvertüre »Romeo und Julia« (1869). Er unternahm viele Reisen, begegnete anderen Komponisten und lernte deren Ästhetik kennen. Tschaikowsky arbeitete auch als Musikkritiker und besuchte beispielsweise 1876 Bayreuth, um der Uraufführung von Richard Wagners »Der Ring des Nibelungen« beizuwohnen. Im gleichen Jahr komponierte er die Ballettmusik zu »Schwanensee« und lernte Nadeschda von Meck kennen, eine vermögende Witwe und aufrichtige Bewunderin, die ihn ab diesem Zeitpunkt finanziell großzügig unterstützte.
Ende der 1870er Jahre vertonte Tschaikowsky »Eugen Onegin«, nach der gleichnamigen Vorlage von Alexander Puschkin, und konnte damit 1881 einen sehr großen Erfolg am Bolschoi-Theater feiern. Tschaikowsky war nicht nur freischaffender Komponist, dessen Ruhm sich in Russland und im westlichen Europa immer mehr ausbreitete, sondern wirkte ab 1878 auch zunehmend als Dirigent: Auf einer großen Konzerttournee durch Europa machte er u.a. 1889 Halt in Dresden und dirigierte die Dresdner Philharmonie, die noch keine 20 Jahre zuvor als »Gewerbehaus-Kapelle« gegründet wurde.
Während Tschaikowsky an seiner vorletzten Oper »Pique Dame« arbeitete, brachte er auch andere bedeutende Werke hervor, wie die Ballette »Dornröschen« (1890), »Der Nussknacker« (1892), die 5. und 6. Symphonie (1888/1893) und das Streichsextett »Souvenir de Florence« (1890). Die Partitur von »Pique Dame« lässt Melodien, Rhythmen und Orchesterfarben aus seinen anderen Werken durchschimmern; insbesondere zu den späten Symphonien lässt sich eine tiefe Verwandtschaft finden, aber auch die Ouvertüre solennelle »1812« (1882) wird zitiert. Am 19. Dezember 1890 fand im Mariinsky-Theater die Uraufführung von »Pique Dame« statt – einer seiner größten Erfolge.
Zwischen Krisen und Erfolg
Tschaikowsky hatte Zeit seines Lebens mit Depressionen zu kämpfen; Hauptgrund dafür war seine vor der Öffentlichkeit verborgene Homosexualität. Eine seiner innigsten Liebesbeziehungen führte er in den späten 1870er Jahren mit Iossif Kotek, einem seiner ehemaligen Schüler am Moskauer Konservatorium, der als Privatmusiker bei Nadeschda von Meck angestellt war. Aus den Briefen an seinen Bruder Modest kann man erahnen, wie sehr sich Tschaikowsky aufgrund seiner »verbotenen« sexuellen Neigung am Rand des Wahnsinns bewegt haben muss und auch suizidgefährdet war. Tschaikowsky hatte zu Modest ein sehr enges Verhältnis, nicht nur weil der Bruder ihm etliche Libretti verfasste, sondern ihm gegenüber konnte er sich offenbaren und von seinen Gefühlen sprechen. Tschaikowsky war also selbst ein Außenseiter und fühlte sich als solcher seelenverwandt mit Hermann: »Hermann [war] für mich nicht nur der Anlass, diese oder jene Musik zu komponieren, sondern jederzeit ein wirklicher lebendiger Mensch, der mir sehr sympathisch ist.«
Ende Oktober 1893 dirigierte er die Uraufführung seiner sechsten Symphonie in St. Petersburg. Nur wenige Tage später, am 6. November, starb er an den Folgen einer Cholerainfektion. Ob das tatsächlich die Todesursache war, bleibt bis heute ein Rätsel, denn es gibt auch die These, dass sich Tschaikowsky mit Arsen vergiftet habe, weil ein »Ehrengericht«, bestehend aus Mitgliedern der St. Petersburger Rechtsschule, wo er auch studiert hatte, ihn aufgrund seiner sexuellen Neigung aufgefordert hatte, sich das Leben zu nehmen.
Von Benedikt Stampfli