»Russlanddeutsche erkennen sich am Namen Eugen«
»Russlanddeutsche erkennen sich am Namen Eugen«
Ein Interview mit dem Fotografen und Künstler Eugen Litwinow über die Suche nach der eigenen Identität.
11. März 2014, von Redaktion Kulturportal Russland
»Was wir alle jenseits unserer Herkunft, unserer Kultur und unseres Glaubens gemeinsam haben, ist der Name. Er ist das erste Geschenk, das unsere Eltern uns machen – Doch was passiert, wenn der Vorname geändert wird, und das nicht freiwillig?«, das ist die Ausgangsfrage des Buchprojekts »Mein Name ist Eugen« von Eugen Litwinow. In einer bunten und kreativen Zusammenstellung aus Interviews, Fotografien und historischen Fakten, ermöglicht das Projekt dem Leser sich den Themen Integration und Identität von einer ganz neuen Perspektive aus zu nähern.
Als der 1987 in Kasachstan als Evgenij Alexandrowitsch Litwinow geborene Fotograf und Künstler mit russlanddeutschen Wurzeln im Alter von sechs Jahren nach Deutschland kam, wurde sein russischer Vorname Evgenij durch die deutsche Variante Eugen ersetzt. Dies sollte den Russlanddeutschen die Integration in das neue Umfeld erleichtern. Doch wäre Evgenij ein anderer Mensch als Eugen geworden? Um dieser Frage nachzugehen, begab der Künstler sich in den Dialog mit anderen jungen Russlanddeutschen, die ebenfalls eine Namensänderung erlebt haben. In dem Buch, das er als Abschlussarbeit im Rahmen seines Fotografiestudiums einreichte, porträtierte und interviewte er ein Jahr lang junge Russlanddeutsche zu Themen wie Heimat, Integration, Name und Identität. Herausgekommen ist ein bunter Mix an Stimmen, die einzelne Situationen und Erlebnisse mal ganz ähnlich, mal ganz unterschiedlich erleben. Von einer eigenen Fanseite auf Facebook über Artikel in renommierten Print- und Onlinemedien – das Buch spricht eine große Leserschaft an und erhielt mehrere Auszeichnungen wie den Silber Award beim Deutschen Designer Club für die beste studentische Abschlussarbeit deutschlandweit und eine Erwähnung beim Output-Award. Kulturportal Russland hat mit dem Künstler über sein Projekt gesprochen.
Eugen Litwinow studierte an der FH Dortmund Fotografie (2007-2011). Danach ging er für eineinhalb Jahre nach New York, wo er an der »Parsons, The New School for Design« den Masterstudiengang »Fine Arts – Photography« belegte. Sein Buch »Mein Name ist Eugen« erschien 2013.
Wie kamst du auf die Idee zu diesem Buch?
Diese Idee hat sich über eine Aussage meines Vaters entwickelt. Er hatte mal gesagt, dass mein Charakter sich durch die Namensänderung verändert hätte. Diese Aussage hatte ich immer im Hinterkopf und dann hatte ich mit meiner Abschlussarbeit einen Rahmen für ein Projekt, in das man viel Zeit stecken kann. Die Namensänderung ist ein sehr persönlicher Einschnitt. Der Name gibt uns eine Art Stabilität. Wir tragen ihn eigentlich ein Leben lang. Wenn er sich ändert, dann merkt man, dass diese Bindung plötzlich durchbrochen ist. Das fand ich spannend. Aber das Ganze hat formal gesehen auch seine Berechtigung. Die Möglichkeit zur Namensänderung ist historisch bedingt. Laut des Bundesvertriebenengesetzes kann ein slawischer Name von Russlanddeutschen in die deutsche Form geändert werden. Man muss sich das so vorstellen, da sagt den Eltern jemand auf dem Standesamt, dass die Kinder wahrscheinlich Schwierigkeiten mit dem slawischen Namen bekommen werden, weil er für Deutsche schwer auszusprechen ist. Dann denken die Eltern natürlich, dass es das Beste für das Kind ist, wenn der Name geändert wird.
Hat es dir geholfen, dass man dich in Eugen umbenannt hat?
Als wir herkamen, war ich froh, dass der Name umbenannt wurde. Das hatte aber viel mehr mit meinem Verhältnis zu dem russischen Namen Evgenij zu tun. Der offizielle Name ist Evgenij, aber so wird man nur genannt, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Innerhalb der Familie und bei Freunden ist der Diminutiv Schenja gebräuchlich. So wurde ich damals auch von allen genannt. Den Namen Evgenij verband ich mit älteren Männern und mit dem Erwachsensein. In meiner Geburtsurkunde steht aber Evgenij. Schenja hätte ich also in Deutschland als Namen nicht übernehmen können. Da stand ich mit sechs Jahren also vor der Frage, ob ich nun von allen auf ein Mal Evgenij genannt werden will. Ich fand mich aber noch nicht bereit für den offiziellen Namen, man will ja nicht so schnell erwachsen werden. Und da war ich erst einmal froh Eugen genannt zu werden. Damit verband ich damals nicht so viel, nur eine gewisse Akustik. Aber meine Familie nennt mich auch jetzt weiterhin Schenja.
Wieso war es dir wichtig, die Geschichten anderer Russlanddeutscher zu hören, die auch eine Namensänderung machen mussten?
Die Aussage meines Vaters ist ja eine sehr subjektive. Er kennt mich und hatte das Gefühl, dass die Namensänderung etwas mit meinem Charakter gemacht hat. Daher wollte ich umso mehr wissen, ob diese Namensänderung bei anderen den gleichen Effekt hatte. Das spannende ist doch, wenn man mehrere Lebensläufe miteinander vergleicht und sieht, wo sind Ähnlichkeiten und wo sind Unterschiede.
Hattest du damals schon eine bestimmte Zielgruppe vor Augen?
Das Thema war immer schon präsent in mir und ist langsam gereift. Mit Freunden habe ich über meine Geschichte gesprochen und gesehen, dass es auf viel Interesse stößt, auch bei Deutschen. Und unter Russlanddeutschen kennt jeder jemanden, der früher einen anderen Namen hatte. Ich dachte, dass es ein spannendes Thema ist, das durch den russlanddeutschen Bezug auch zur deutschen Geschichte gehört. Mir war wichtig, dass es nicht zu wissenschaftlich wird. Das wirkt schnell, als ob jemand alles besser wüsste. Es geht um subjektive Wahrnehmung und persönliche Geschichten, die sich mal überschneiden, mal völlig anders sind.
Du hast die 13 Interviews nicht an einem Stück veröffentlicht, sondern die einzelnen Aussagen der Protagonisten thematisch einander zugeordnet. Wieso hast du diese Form gewählt?
Weil so der Interviewcharakter verloren geht. Es wirkt jetzt wie ein fiktiver Dialog, als würden alle zusammen sitzen und erzählen. Hätte man die einzelnen Geschichten in Blöcken gelesen, dann wäre das langweilig. Jetzt wirkt es tatsächlich wie eine zusammenhängende Geschichte und nicht einfach wie 13 Interviews. Auf diese Weise berührt es ein bisschen die Genre Roman, Dokumentation und Biographie.
Welche Reaktionen gab es auf das Buch?
Es gab durchweg positive Rückmeldungen. Ich erinnere mich nur an eine einzige negative. Einer schrieb, ich solle froh sein, dass mein Namen geändert wurde, da es sehr schwer sei, immer wieder seinen Namen erklären zu müssen. Das respektiere ich natürlich, aber genau das ist auch ein Teil des Buchs. Teilweise schreiben mir auch Russlanddeutsche und erzählen etwas aus ihrer Geschichte oder geben eine Rückmeldung zum Buch. Inzwischen bekomme ich sogar Anfragen von Leuten, die ihre Hausarbeit darüber schreiben wollen. Eine Kulturanthropologie Studentin will zum Beispiel über die Identitätsentwicklung der Protagonisten schreiben.
Gibt es etwas, das alle Eugens ähnlich erlebt haben?
Wir haben festgestellt, dass Russlanddeutsche sich direkt am Namen Eugen erkennen. Ich habe noch nie einen Eugen kennen gelernt, der nur einen deutschen Hintergrund hat. Zumindest in meiner Generation. Und das haben mir auch ein paar der Eugens aus dem Buch bestätigt. Das fand ich sehr spannend, da es mich auch bestärkt hat, dass der Name Eugen heraus fällt. Mein Bruder zum Beispiel wurde von Iwan zu Johannes umbenannt, da denkt man nicht gleich an Russlanddeutsche.
Gibt es eine Geschichte eines Protagonisten, die dich besonders beeindruckt hat?
Ich habe in den 13 Leuten echt spannende Charaktere gefunden. Ich hatte das Gefühl mit jedem auch über den Namen hinaus über sehr viel reden zu können. Einer von ihnen zum Beispiel war an Krebs erkrankt. Das wird in dem Buch nicht thematisiert, aber es war sehr interessant zu sehen, was er für Lebenseinstellungen hat. Und diese spiegeln sich natürlich in seinen Aussagen wieder. Ein anderer hat sich von der Hauptschule bis zum Medizinstudium durchgeboxt. Er war schon etwas älter, als er nach Deutschland kam und dementsprechend war es schwer für ihn die Sprache zu lernen. Das hat mich beeindruckt. Wir teilen zwar alle den Namen, aber jeder hat seinen eigenen Lebensweg.
Gab es auch komische Momente durch die Namensänderung?
Zwei der Protagonisten haben die Namensänderung nie offiziell gemacht. Im Pass heißen sie immer noch Evgenij. Allerdings stellen sie sich immer mit Eugen vor und haben den Namen auch so verinnerlicht. Einer der beiden hatte mal bei Amazon eine Bestellung auf den Namen Eugen gemacht und als er das Päckchen bei der Post abholen wollte, wollte man ihm nicht glauben, dass er es ist, da im Pass ja Evgenij stand. Der Pass des anderen war auf Evgenij ausgestellt, er hatte aber auf der Rückseite mit Eugen unterschrieben. Auf seinem Pass standen also beide Namen. Das heißt viele Sachen, wie zum Beispiel sein Bankkonto, liefen auf Eugen, eine Person, die es laut Pass gar nicht gab. Später hat er rückwirkend seinen Namen von Evgenij in Eugen umbenannt.
Hast du das Gefühl, dass das Projekt dir geholfen hat die Aussage deines Vaters besser zu verstehen?
Ich habe gemerkt, dass jedes Ereignis Einfluss auf dich und dein Leben hat. Es war interessant für mich zu sehen, wie andere Leute mit solchen Umbrüchen im Leben umgehen. Viele der Protagonisten haben sich nie bewusst mit der Namensänderung auseinandergesetzt, aber im Gespräch kam heraus, dass es genügen andere Lebenseinschnitte gab, die den Charakter ändern. Es war also gar nicht immer die Namensänderung, die bedeutend war. Aber hinter meiner Fragestellung steckt natürlich die Frage, die uns alle beschäftigt, und zwar welchen Platz wir zwischen diesen Kulturen haben. Das ist für mich das Spannende an dem ganzen Thema. Außerdem war ich selbst selten konfrontiert mit anderen jugendlichen Russlanddeutschen. In dem Ort, in dem ich in Deutschland groß geworden bin, waren wir die einzigen Russlanddeutschen. Durch das Projekt konnte ich sehen, dass es auch ganz andere Wege gibt sich dem Thema zu stellen.
Das Interview führte Maria Galland
Mehr Informationen zu Eugen Litwinow und seinem Projekt findet ihr hier.