»Tanja 5.« Ein Interview mit Dima Kubasov
»Tanja 5.« Ein Interview mit Dima Kubasov
25. November 2015, von Iliana Michaelides
Der Film »Tanja 5.« des Nachwuchsregisseurs Dmitrij Kubasov ist wild. Mit einer Handkamera gedreht, scheint er keinerlei Regeln zu kennen, oder ist, wie es Simone Catharina Gaul von der Findlingsjury des dokumentART Festival in Neubrandenburg ausdrückt, einfach »Rock´n Roll«.
Tanja ist eine Frau um die vierzig, lebt mit ihren drei Söhnen, die sie allein erzieht in dem Örtchen Pokrov im Oblast Vladimir, 100 Kilometer entfernt von Moskau. Man kennt sich hier. Sie fährt Taxi und zwar die Nummer 5. Wir begleiten sie an ein paar Tagen ihres Lebens, zum Autowaschen, in den Kindergarten, bei ihrer Arbeit und zu Silvester. Tanja ist wohl das, was man »tough« nennt: sie ist laut, flucht, dass selbst dem hartgesottensten Russen die Kinnlade runterklappt, ärgert sich über alles und jeden (den Exmann, Medwedjew, die Politiker allgemein, ihre Kunden) und legt auch in brenzligen Situationen eine beeindruckende Furchtlosigkeit an den Tag.
Diese Rauheit, sowohl der Menschen, als auch der Ästhetik, hat die Jury überzeugt. Kubasov erhielt für »Tanja 5.« gleich zwei der vier zu vergebenden Preise: Den Preis der Studentenjury, die sich beeindruckt zeigten von Kubasovs »energetischem Debüt« und den Preis der Findlingsjury, den er sich mit dem Kirgisen Chingis Narynov und dessen bildgewaltigen Film »Metal Bread« teilen muss. Diese lobte Kubasovs natürlichen Umgang mit seiner Protagonistin, sein Empathievermögen und seine präzise Beobachtungsgabe. Durch den Eindruck eines ganz persönlichen Alltags in einem kleinen Ort in Russland werde auch etwas über die postsowjetische Gesellschaft und das Miteinander der Menschen vermittelt.
Im folgenden Interview spricht Kulturportal Russland mit Dima Kubasov über seinen neues Werk, die Kunst des Dokumentarkinos und die Schwierigkeit, Arthouse Filme in Russland zu zeigen.
Kulturportal Russland: Hallo Dima, wie kamst du zum Film?
Dima Kubasov: Ich habe am Theaterinstitut in Moskau meinen Abschluss gemacht, an einem der renommiertesten, mit dem Schwerpunkt der Schauspielerei. Dann hat mich der Film fasziniert und ich begann, in Filmen mitzuspielen. Dann kam es, dass ich mit dem französischen Regisseur Philippe Claudel zusammenarbeitete. Nach der Arbeit mit ihm, inspiriert davon, mit welcher Energie er arbeitet, wurde mir, zurück in Moskau, das Leben langweilig. Denn als Schauspieler hängt man immer vom Regisseur und vom Drehbuch ab. Man fühlt sich künstlerisch unvollendet. Zweifellos gibt es in diesem Beruf eine große Freiheit. Aber ab einem bestimmten Moment habe ich mich mit der Schauspielerei nicht mehr ernsthaft beschäftigt. Ich hab verstanden, dass ich irgendwie mehr will, als das ganze Leben zu schauspielern. Wobei daran natürlich nichts Schlechtes ist. Also begann ich, sehr viele Filme zu sehen von Antonioni, Fassbinder, Lars von Trier, Tarkovskij, German und ich habe verstanden, dass das die Form ist, in der ich mit den Menschen kommunizieren möchte. Also habe ich mich für die Dokumentarfilmschule in Moskau eingeschrieben.
Kulturportal Russland: Warum gerade Dokumentarfilme?
Dima Kubasov: Es ist heutzutage sehr leicht, sich eine Kamera zu kaufen und einen Film zu drehen. Früher war das nicht möglich, man brauchte riesige Filmrollen, es war eine richtige Kunst, sich mit diesen ganzen Maschinen zu beschäftigen, mit den Kameras, die Tonnen wogen. Und jetzt, eigentlich schon lange ist es offensichtlich, dass Regisseure anfangen, Laienschauspieler zu filmen vergessen haben, was Filmstudios Sind. Unser Anschauungsobjekt ist der Mensch. Und wenn wir an einen Menschen herangehen, und dank der neuen Technologien können wir sehr nah an den Menschen heran, ihn und seine Probleme, sein Leben filmen, also seine physische Realität einzufangen versuchen. Ich bin eigentlich kein großer Fan vom Dokumentarfilm. Er gefällt mir nicht, diese Filme kann ich auch auf dem Discovery Channel oder National Geographic sehen. Das ist wie ein Film, eine Reportage über irgend eine Erscheinung. Und man gibt mir Informationen über zum Beispiel einen Menschen, der etwa das und das tut. Oder Regisseure verstecken sich hinter der Form, nehmen irgendein ethnologisches Element, filmen aussterbende Völker. Und da muss auf jeden Fall ein Schaf oder ein anderes Tier getötet werden. Dann wird das mit irgendeiner Musik unterlegt, hübsche Bilder und das ist dann ein Dokumentarfilm: wir sehen das, was wir früher nicht gesehen haben. Genau darin sehe ich eine Entwicklung im Dokumentarfilm. Dass man den Menschen filmen kann und obwohl die Szenen einzigartig sind, kann man durch Schneiden und Montieren sowas wie einen Spielfilm daraus machen. Das heißt, man kann die Schauspieler eigentlich ganz weglassen. Wofür braucht man Schauspieler, wenn man Menschen hat, die nicht spielen, sondern sind, einfach sind.
Kulturportal Russland: Was hat dich an Tanja fasziniert, warum hast du sie ausgesucht?
Dima Kubasov: Ich habe mich an Tanja aus meiner Vergangenheit erinnert. Das war ein sehr starker Eindruck. Ich hab es also riskiert, bin hingefahren und habe ihr nicht mal gesagt, dass ich einen Film plane. Ich bin einfach nur mit der Kamera zu ihr gefahren und habe angefangen, zu drehen. Sie hatte nichts dagegen. Ich habe gesehen, wie sie ihr Leben lebt. Sie ist ein Mensch, den zu beobachten sehr interessant ist.
Kulturportal Russland: Was möchtest Du mit Deinen Filmen erreichen?
Dima Kubasov: Ich mach wohl am ehesten für mich selbst Filme. Mir gefällt dieser Prozess und es gefällt mir, mich selbst zu überraschen und mir Ziele und Aufgaben zu suchen. Ich bin mir sicher, dass meine Filme einem Haufen Leute nicht gefallen, das geht ja auch gar nicht. Und es tut sich dann auch nichts. Wenn ich die ganze Zeit darüber nachdenken würde, könnte ich keine Filme mehr drehen. Aber wenn ich sehe, wie mir etwas gelingt, dann befriedigt mich das auf jeden Fall. Ich glaube, wenn etwa Fassbinder meinen Film sehen würde, er würde ihm gefallen. Denn in ihm gibt es jene schönen, cineastischen Dinge, die einem Menschen, der sich damit beschäftigt, große Freude machen.
Kulturportal Russland: Welche ist deine Lieblingsszene in »Tanja 5.«?
Dima Kubasov: Sie gefallen mir alle sehr. Aber besonders gefällt mir die Szene, in der Tanja eine betrunkene Frau fährt und zufällig ihre Nägel vor die Linse kommen und man sieht – sie hat eine perfekte Maniküre. Das gefällt mir sehr gut.
Kulturportal Russland: Zeigst du »Tanja 5.« auch in Russland?
Dima Kubasov: Das ist so? nach der neuen Gesetzgebung braucht man, um Filme öffentlich zeigen zu dürfen, eine Lizenz und um diese zu erhalten, darf im Film etwa kein Mat´ gesprochen werden. Dementsprechend haben Dokumentarfilme keine Chance diese zu bekommen. Ich kann mich nicht in den Kopf eines Beamten einfühlen. Vielleicht denkt er, dass wenn auf der Leinwand diese unabhängigen Kunstfilme laufen (die im Grunde ohnehin kein Publikum haben. Wir wollen ja keine Verleiherlaubnis auf dem Level von Spiderman, sondern bitten um die Erlaubnis für kleine, spezialisierte Programmkinos für verrückte Leute, die ihre „Filmkunst“ zeigen, die kein Mensch braucht.) Vielleicht denken die Beamten etwa, das sei Mist. Wenn auf der Leinwand Mat erklingt, dann wirke sich das dementsprechend auf die Menschen aus.