„Tür nach Europa“ — Unveröffentlichter Essay von Willi Kollo
„Tür nach Europa“ — Unveröffentlichter Essay von Willi Kollo
Sie alle gemeinsam, Deutsche wie Russen, hatten dafür gestanden, mehr Licht in die Welt zu bringen und damit die „Tür nach Europa“ aufgestoßen —
„Die Testamentsvollstrecker“ von Willi Kollo, 1975
Willi Kollo war ein begabter Komponist, Drehbuchautor und Liedtexter. Er interessierte sich nicht nur für Musik und Poesie, sondern auch für Geschichte. Sein bisher unveröffentlichter Essay, bestehend aus den drei Teilen „Eine Tür nach Europa“, „Blut und Licht“ und „Die Testamentsvollstrecker“ ermöglicht es, diesen einzigartigen Künstler aus einer ganz neuen Perspektive zu entdecken und einen neuen Blick auf die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen zu werfen.
Leibniz Gottfried‘ Ideen beflügelten den Geist und das Herz des künftigen ersten Imperators Peter des Großen, der den raschen Fortschritt in Russland fördern wollte. Ausgehend von diesen beiden genialen Männern zeigt Willi Kollo, wie die weiteren Verbindungen zwischen Deutschen und Russen für die Entwicklung Russlands als europäische Macht von zentraler Bedeutung waren.
In seinem 1975 während des Kalten Krieges geschriebenen Essay versuchte Willi Kollo, in unnachahmlich faszinierenden und informativen Stil, uns die absolute Wahrheit zu vermitteln: Dass wir nur durch gemeinsame Anstrengungen, durch den wissbegierigen Geist von Deutschen und Russen sowie durch den Willen zum Fortschritt unseren Völkern Gutes bringen können. Seine Grundsätze haben sich heute als so bedeutsam wie eh und je erwiesen.
Ein weiteres bemerkenswertes Werk von Willi Kollo ist „Friedrich der Große: Die Kunst zu überleben“, der auf den Aufzeichnungen von Henri de Catt, dem Privatsekretär des Preußenkönigs Friedrich II basiert und vom Autor persönlich übersetzt wurde. Willi Kollo kann mit Recht als politischer Schriftsteller bezeichnet werden.
Unser Dank geht an die Musik- u. Bühnenverlegerin Marguerite Kollo , die es ermöglicht, den Essay von Willi Kollo zu veröffentlichen.
Sie können den Rest des Aufsatzes lesen, indem Sie die Datei kostenlos herunterladen.
EINE TÜR NACH EUROPA – Peter der Große
EINE TÜR NACH EUROPA!
Essay über die geschichtlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland
von WILLI KOLLO – (1904-1988)
Bearbeitet von Marguerite Kollo
in 3 Teilen:
„EINE TÜR NACH EUROPA“
„BLUT UND LICHT“
„DIE TESTAMENTSVOLLSTRECKER“
Geschrieben ca. 1975 in der Zeit des „Kalten Krieges“
– bisher unveröffentlicht – Herausgegeben von Archiv Kollo 2021
RECHTLICHER HINWEIS
Alle Rechte bei Inhaber des Willi Kollo-Urheberrechts, Bearbeiter Marguerite Kollo
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Hierzu zählen insbesondere das Recht der Bearbeitung, Übersetzung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und sonsti- ge Medien, der mechanischen Vervielfältigung und Vertonung (Neu- vertonung), die Verwendung zu Bühnenzwecken, Vorlesungen und Aufführungen, gleich ob von Amateur- oder Profibühnen sowie ande- ren Interessenten.
Bearbeitungen und sonstige Verwertungen sind nur im Einvernehmen mit den Urheberrechtsinhabern und nach rechtsgültigem Abschluss eines Vertrages bzw. Bühnenaufführungsvertrages gültig.
Das vorliegende Manuskript ist unverkäuflich und nicht zu veröffentlichen ohne Genehmigung der Inhaber des Urheberrechts.
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„EINE TÜR NACH EUROPA!“
Im Juli 1716 ist Pyrmont, wegen seiner heißen Quellen in ganz Europa berühmt, in heller Aufregung. Zwar hat man hier schon manchen Großen und Reichen gastlich aufgenommen, dessen Nerven das Leben allzu sehr zugesetzt hat, der an Rheuma oder auch an Darmbeschwerden litt. Nun aber kehrt ein Mann ein, der schon bei Lebzeiten Legende ist; über den man sich abends, unter der Hand und leise, am lodernden Herdfeuer erzählt, zwischen Bewunderung und Grauen schwankend. Ein Mann, der über ein maßlos großes Reich gebietet, weit, weit von uns allen entfernt, ständig in Eis und Schnee gehüllt, in dessen grenzenlosen Weiten eben erst, vor ein paar Jahren, der ebenso sagenhafte Schwedenkönig Karl XII samt seinem mächtigen Heer lautlos untergegangen ist, vernichtet von eben diesem Mann, der nun Heilung zu suchen nach Pyrmont gekommen ist:
Pjotr Alexejewitsch Romanow, Zar Peter I. von Russland, später der Große genannt.
Märchen, Sagen umweben ihn:
Sein Vater Alexei Michailowitsch sei körperlich gebrechlich und ein Epileptiker gewesen. Er habe das Leiden auf seinen Sohn Peter, der deshalb unberechenbar sei, vererbt. Nach seines Vaters Tode habe Peters Halbschwester Sophie, die die zaristischen Garderegimenter, die berühmten Strelizen, auf ihre Seite gebracht habe, sich selbst, den schwachsinnigen Bruder Iwan und Peter zu Thronfolgern ausrufen lassen. Iwan, der wahre Thronerbe, habe ihr die Macht willig über- lassen, Peter musste in Verbannung gehen, wo er, in einem kleinen Ort bei Moskau, seinen Erziehern und seinen Studien lebte. Jeden Tag, jede Stunde, ja jede Minute habe er in Todesgefahr geschwebt, so dass Furcht seine ständige Begleiterin gewesen sei. Je mehr er von dem unheilvollen Treiben seiner Schwe- ster erfuhr, umso wachsamer belauerte er seine Umgebung, ob ihm von irgend- jemand Gefahr drohte. Als man ihm eines Nachts mitteilte, Großfürstin Sophie befände sich auf dem Wege zu ihm, sei er so, wie er aus dem Bett sprang, im Hemd, schreiend in den Hof gelaufen, habe sein Pferd gesucht und sei halbnackt in die nächtlichen Wälder geritten. Seine Begleiter, die ihm nachru- fend, hinter ihm hergesetzt seien, habe er als Mörder angesehen. Schließlich sei er, erschöpft, in einem Kloster untergekommen, in dem er sich versteckt gehalten habe, bis es ihm gelang, seiner Schwester und der Anführer der Strelizen, die sich gegen ihn nach Iwans Tod wiederum erheben wollten, habhaft zu werden. Seine Schwester habe er in das Jungfrauenkloster in Moskau verbannt. Von da ab sei er Zar gewesen.
Eine Jugend voller schlechter Nerven, Panik und Todesangst.
Vor kurzem erst, als man ihm in Preußen ein großes Essen gab, sei er wie ein Wahnsinniger von seinem Stuhl aufgesprungen, habe seinen Degen gezogen und hysterisch wild um sich geschlagen, nur weil hinter ihm ein Diener einen Teller hatte fallen lassen, der zerbrach. Wahrhaftig, es war an der Zeit, dass er für seine Nerven in Pyrmont etwas tat.
Ständig trüge er einen Schraubschlüssel mit sich herum, weil es ihm, außer dem Pfeifenrauchen, Vergnügen bereite, jedermann einen schlechten Zahn zu ziehen. Als er in einem alten Nebengebäude unweit seines Wohnsitzes in der Verban- nung herumgestöbert sei, habe er einen alten zerfressenen Kutter entdeckt, der einem Angehörigen seines Hauses gehört habe. Das Boot musste sofort aus dem Schuppen gezogen und instand gesetzt werden. Man schleppte es auf des faszi- nierten und erregten Peter Geheiß in den nahe gelegenen Pleschtschejewo-See, wo man den Segler unter Anleitung eines erfahrenen Holländers, den man auf- getrieben hatte, schwimmen ließ. Von da ab war Peter der Seefahrt, dem Meer, dem Wasser verfallen bis zur Narretei, und das alles wäre unerheblich geblieben, wäre er nicht zufällig der Zar gewesen. So aber hatte sein Fund weltgeschicht- liche Bedeutung erlangt, denn ohne diesen Kutter wäre womöglich niemals Petersburg entstanden, das er, Peter, zu seiner Residenz schuf, weil es am Meer lag, und auch, weil er dort sicherer war als in dem gefährlichen Moskau.
Konnte er nicht, etwa bei einem neuerlichen Mordaufstand der Strelizen, jeder- zeit auf das Wasser flüchten, wo ihn niemand fassen konnte?
Es gab niemanden in Pyrmont, der nicht zu erzählen wusste, wie Zar Peter, als einfacher Schiffszimmermann verkleidet, in Amsterdam den Schiffsbau erlernt hatte, aber auch die holländische und andere Sprachen; wie er dort den geringsten Fetzen Wissen gierig aufgeschnappt hatte, um ihn später für sein Volk nutzbar machen zu können. Noch gab es nicht Lortzings weltbekannte Oper „Zar und Zimmermann“, noch hatte Lortzing selber kein Denkmal in Pyrmont, aber über die Geschichte, die seines Musikdramas zugrunde lag, munkelte man damals schon, ehe sie durch ihn unsterblich wurde.
Dieser Peter fährt nun mit seinen vielen Wagen, Dienern, martialischem Gefolge, in schwere Pelze gehüllt mitten im Sommer, in Pyrmont ein, bestaunt von jedermann.
Alles späht nach ihm aus. Wer unter den Anreisenden ist er? Jemand zeigt auf ihn. Der?