Warum eine Fünf im Zeugnis Grund zur Freude sein kann
Warum eine Fünf im Zeugnis Grund zur Freude sein kann
Schulbildung in Russland
16. Oktober 2018, von Kulturportal Russland Redaktion
Einen guten Monat liegt sie jetzt in Berlin zurück: die Einschulung. Mit Schultüten bewaffnet begann für die ABC-Schützen der „Ernst des Lebens“. Gut möglich, dass der Eifer und die Freude der ersten Wochen ein Schulleben lang anhält. Sehr viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass irgendwann einmal folgende Frage auftaucht: „Mama, muss ich wirklich zur Schule gehen?“, auf die dann vielleicht die entsprechende Mutter antwortet: „Alle Kinder müssen zur Schule gehen!“. Doch wie sieht die Schulbildung genau in anderen Ländern aus? Wie beispielsweise lernen Schüler in Russland?
Während der „Ernst des Lebens“ in Deutschland mit sechs oder sieben Jahren anfängt, variiert in Russland das Alter der Erstklässler von sechs bis acht. Dafür ist der Startschuss der Schullaufbahn in Russland klar festgelegt: Jedes Schuljahr beginnt am 1. September. Unabhängig davon, in welchem Teil Russlands also Freunde zur Schule gehen: Sie können die Ferien zusammen planen. Im Übrigen stehen den Schülern im Sommer dafür ganze drei Monate zur Verfügung. Allerdings gibt es in Russland zum Schulstart nicht etwa Geschenke für die Erstklässler, wie sie bei uns in Schultüten stecken, sondern kleine Aufmerksamkeiten für die Lehrer – zum Beispiel Blumen.
Wie in fast allen Bundesländern Deutschlands dauert die „Grundschule“ in Russland (Natschalnaja Schkola) in der Regel vier Jahre. „In der Regel? Was soll das denn heißen?“, würde an dieser Stelle wohl unser von Unlust geplagter Schüler einwerfen. Das bedeutet, dass in Russland auch das Überspringen der vierten Klasse nichts Ungewöhnliches ist. Ähnlich wie in Deutschland haben die einzelnen Klassen während der Grundschule „ihr Klassenzimmer“ und „ihren Lehrer“, der sie in allen Fächern – mit Ausnahme von Sport und Musik – unterrichtet. Auf dem Lehrplan stehen -vergleichbar dem in Deutschland – Lesen, Schreiben und die Grundrechenarten. Außerdem werden an manchen Schulen die Fächer Choreografie und Kunst angeboten. Seit 2005 ist ab der zweiten Klasse auch eine Fremdsprache Pflicht. Eine Besonderheit stellt das Fach „Umwelt“ dar: In diesem haben die Schüler die Möglichkeit über all das zu sprechen, was ihnen im Leben entgegentritt.
Auf große Unterschiede zwischen den beiden Ländern trifft man bei der Benotung. Wenn in Deutschland ein Kind mit einer Fünf nach Hause kommt, fürchtet es den Tadel der Eltern. Nicht so in Russland: Denn das Notensystem dort ist spiegelbildlich zu dem in Deutschland. Während bei uns das Notensystem von 1, sehr gut, bis 6, ungenügend, reicht, steht in Russland eine 5 für „ausgezeichnet“, eine 1 für „ungenügend“.
In der Grundschulzeit geht die Schule in Russland normalerweise von 8 bis 13 Uhr. Zusätzlich gibt es für die Schüler aber die Möglichkeit, nach Schulschluss noch länger zu bleiben. Bis 18 Uhr können sie Hausaufgaben machen, spazieren gehen oder spielen – unter Aufsicht der Lehrer natürlich. Dieses Angebot trägt zur Entlastung berufstätiger Eltern bei.
Mit dem Abschluss der Grundschule entscheidet sich in Deutschland oft die Zukunft eines Kindes in Form von drei Schulen, der Hauptschule, Realschule oder dem Gymnasium. In Russland hingegen sind die Schüler noch weitere fünf Jahre zusammen auf der Osnownaja Schkola, auf der weiterführenden Schule. Diese Klassen sind oft in einem Gebäude mit der Grundschule untergebracht. Im Unterschied zu der Grundschule hat dort jeder Lehrer seinen speziellen Fachbereich. Außerdem gibt es für jedes Fach einen eigenen Unterrichtsraum, das heißt, jedes Mal, wenn ein anderes Fach auf dem Stundenplan steht, wechselt die Klasse den Raum. Apropos Stundenplan: Hierauf finden sich sowohl ähnliche Fächer wie auf dem eines deutschen Schülers – Algebra, Geometrie, Physik, Chemie, Biologie, Geschichte, Gemeinschaftskunde, Fremdsprachen, Musik , Bildende Kunst oder Sport, aber auch einige Besonderheiten: Literaturunterricht ist ein eigenständiges Fach, der Informations- und Kommunikationstechnologie ist ebenfalls ein eigenes gewidmet, auch gibt es Werkunterricht und Lektionen in Hauswirtschaft. Während den fünf Jahren der Osnownaja Schkola endet die Schule zwischen 14 und 15 Uhr. Auch Nachmittagsunterricht gibt es bereits zwei bis drei Mal die Woche.
Erst im Anschluss an diese fünf Jahre entscheiden die Schüler, ob sie gleich einen Beruf ergreifen oder noch zwei weitere Jahre zur Schule gehen möchten – in die höheren Klassen (Starschi Klassy).
Nach diesen zwei Jahren haben sie die Möglichkeit, den höchsten russischen Schulabschluss zu erwerben – das „Einheitliche Staatliche Examen“ (Jedinny Gosudarstwenny Examen). Dieses ist, wie der Name schon sagt, staatlich geregelt: Zeitgleich schreiben alle „Abiturienten“ Russlands im Frühjahr diese Prüfung. Zwei Fächer sind dabei vorgegeben: Mathematik und Russisch. Zusätzlich kann man weitere Prüfungen belegen: Fremdsprachen (Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch), Physik, Chemie, Biologie, Geographie, Literatur, Geschichte, Gemeinschaftskunde und Informatik.
Vermutlich würde jetzt ein Schüler aus Deutschland ungläubig fragen: „Zusätzliche Prüfungen? Warum sollte ich?“. Nun, die Antwort darauf ist recht simpel: Weil man damit seine Chancen auf einen Studienplatz in seinem Lieblingsfach erhöhen kann.
Das „Einheitliche Staatliche Examen“ ist in drei Teile gegliedert, die sich vom Schwierigkeitsgrad her unterscheiden: Teil A besteht aus einem Multiple Choice Test, in Teil B müssen die Prüflinge stichwortartig antworten, in Block C geht es darum, ausführlich auf eine komplexe Frage einzugehen. Während Block A und B an einem Computer geprüft werden, erfolgt die Korrektur und Benotung von Block C durch eine regionale Expertenkommission.
Nach erfolgreichem Ablegen der Prüfung haben die Sechzehn- bis Neunzehnjährigen zehn oder elf Jahre ihres Lebens in der Schule verbracht. Und wie in Deutschland auch muss das Ende dieser Zeit natürlich gebührend gefeiert werden: In Russland kennt man zwar keinen Abischerz, dafür gibt es aber ein großes Abschiedskonzert, eine feierliche Diplomverleihung und ein sich anschließendes Fest.